Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
würde. Solange sei er schon unterwegs. Die beiden Damen hielten schockiert den Atem an. Er ahnte wohl ihre Gedanken und berichtete sogleich von seiner Art, das Christfest zu erleben. «Wissen Sie, wie es gerade zu dieser Zeit ist, sein Lager in einer Scheune aufzuschlagen, vielleicht eine Flasche Rotwein und etwas Gutes zu essen zu haben, etwas Wurst, Käse und Brot, dazu die Stille und abends, wenn das Wetter gut ist — den Himmel zu schauen? Es ist unbeschreiblich, fuhrt er fort, ich bin allein und frei, fühle mich geborgen in der Natur. Manchmal treffen noch ein oder zwei Kameraden dazu, dann verbringen wir Weihnachten auf diese Weise zusammen. Glauben Sie mir, ich würde freiwillig nie in ein Asyl gehen, nur wenn das Wetter es nicht anders zuläßt und Schneestürme einsetzen. Diese Art Weihnachten zu feiern und zu erleben habe ich früher nie gekannt.»
So wie er sich mitteilte, mit seiner inneren Freude, Überzeugung, aber auch Ehrfurcht und Würde, forderte er uns allen Respekt ab. Während seiner bildhaften Beschreibungen schaute ich nach draußen. Die Morgennebel stiegen in einer wärmenden Wintersonne auf, Wiesen und Wälder lagen in einem sanften Licht, das die scharfen Konturen verwischte und die Stille spürbar machte.
Zwischendurch tauchten auch Scheunen auf, und meine Phantasie wanderte mit dieser Gestalt zu solch einem Platz, um unter freiem Himmel, bei sternenklarer Nacht die Botschaft der Geburt Christi neu zu vernehmen. Der Ort des Geschehens war damals Bethlehem, doch könnte es nicht auch jene versunkene Schwarzwaldlandschaft gewesen sein? Ist dieses Ereignis nicht auf alle Menschen, Länder und Landschaften übertragbar?
Plötzlich stand er auf, er ging wie er gekommen war, ganz unauffällig. Vielleicht wußte er nun um sein nächstes Ziel auf der Wanderschaft? An seiner dicken abgetragenen Winterkleidung sah ich, daß er gegen die Kälte im Freien geschützt war; auch gegen die Kälte der Menschen? Er ließ uns mit den Worten: «Gesegnete Weihnacht» zurück.
Meine beiden Mitreisenden machten ihrer bislang beherrschten Fassungslosigkeit Luft. «Es ist doch unglaublich, was für Typen heute herumlaufen!» klagten sie.
Ich war sehr nachdenklich geworden und antwortete, daß mir bei dieser unverhofften Begegnung die Hirten in den Sinn gekommen seien. Auch sie hatten eine gesellschaftliche Außenseiterrolle, lebten im Freien auf dem Felde. Doch gerade ihnen ließ Gott vorrangig die Botschaft verkünden: «Euch ist heute der Heiland geboren...» Kam ihnen nicht eine ganz besondere Bedeutung zu?
Könnte nicht auch unser, sich auf der Durchreise befindliche Wanderer zu den heutigen Hirten gehören?
Inmitten des modernen Weihnachten, wo Konsum, Glanz und Glitter und ein bißchen soziale Bereitschaft zur Nächstenliebe ihre Bedeutung haben, machte er sich allein auf den Weg, die andere Wirklichkeit zu suchen. Ich glaube, daß er sie gefunden hat.
Auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof trennten sich im dichten Reisegewirr unsere Zielrichtungen, meine lag im Norden. Doch ich war und bin bis heute, drei Jahre danach, immer noch seltsam von dieser kurzen Begegnung berührt.
Ich kenne den Namen dieses Menschen nicht, eine feste Adresse gab er vor nunmehr zwanzig Jahren auf, damit ist er für mich unerreichbar. Somit schrieb ich diese Geschichte auf, stellvertretend für alle jene Menschen, die Weihnachten 1988 draußen vor der Tür, unter freiem Himmel verbringen.
Heide Fregien
Der rote Krämerladen
Weihnachten 1953: Ein Fest, an welches ich mich immer wieder und gern erinnere: War es vielleicht sogar das schönste für mich!
Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Verführerische Düfte zogen durchs Haus; unsere Mutter werkelte von morgens bis spät in den Abend hinein in der Küche. Dort entstanden köstliche Stollen, Unmengen Plätzchen, allerlei Naschereien aus Marzipan und vieles andere mehr. Auch ein Knusperhäuschen entstand dort — wie jedes Jahr. Vati suchte in Bergen von Büchern nach schönen Geschichten, die er traditionsgemäß am Heiligen Abend der Familie vor der Bescherung vorlas, «um die Spannung noch spannender zu machen», wie er später schmunzelnd zu sagen pflegte.
Wir vier Geschwister waren in unseren Zimmern mit allerlei Basteleien beschäftigt; es wurde gestrickt, gehäkelt, geklebt, gesägt und gehämmert. Auch mußten die Gedichte immer mal wieder aufgesagt werden, damit am Heiligen Abend nicht nur der Text stimmte — ganz wichtig war das Üben der «Betonung».
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