Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
10.
Inzwischen bin ich schon ein weiteres Mal mit der «Frithjof» unterwegs gewesen. Die stürmische Kakao-Silvester-Party war noch in aller Munde und wird wohl später noch im Seemannsgarn verstrickt werden, aber an das Weihnachten mit dem kleinen Mädchen in Nordafar erinnerte sich kaum noch jemand. Für mich war es jedoch das eindrucksvollste, ursprünglichste Weihnachten, das ich nie vergessen werde.
Peter Paulsen
Eine Geschichte von Weihnachten — ohne Glanz, aber voller Hoffnung und Vertrauen
Fast 42 Jahre sind seit dem Heiligen Abend 1946 vergangen, und trotzdem ist die Erinnerung an jene Stunden beklemmend und befreiend zugleich. Das Herz will bei dem Gedanken daran schier zerspringen, sei es aus Wehmut oder vor Zorn, aber doch vor allen Dingen vor Dankbarkeit. Zu zwiespältig sind die Gefühle, um sie genau ausdrücken zu können.
Heute, nach so vielen Jahren, sehe ich mich wieder als den kleinen hilflosen, zehnjährigen, unterernährten Steppke, der mit seinem Zwillingsbruder diese Stunden durchlebte.
Wie war doch alles anders gekommen als erhofft. Aus wohlbehüteter Obhut des großväterlichen Hauses hatten es die Zwillinge mit ihrer Mutter, die kurz vor Kriegsende ein zweites Mal geheiratet hatte, in die Altmark verschlagen. Es war ja so schön, wieder einen Vater zu haben, denn den eigenen Vater hatten wir nie gesehen. Schon lange lag er unter den vielen Blumen auf dem Friedhof. Aber jetzt hatte man einen neuen Vati, der außerdem heil aus dem Krieg zurückgekehrt war und nun all die Träume verwirklichen sollte, die in den Köpfen der kleinen Jungen herumspukten. Wie bitter war die Enttäuschung, als sich dieser Vater zu erkennen gab. Die wildesten Vorstellungen von einem bösen Stiefvater nahmen Gestalt an, und die Jungen hatten sich doch so auf den neuen Vater gefreut. Die anhängliche Zuneigung wurde nur mit bösen Worten und entsprechenden Maßnahmen bitter belohnt. Arbeit und Entbehrungen waren an der Tagesordnung. Trotz relativ guter Verhältnisse mußten die kleinen Stiefsöhne ihr Brot selbst verdienen und außerdem noch mit der kargen Kartenration allein zurechtkommen. Darüber war die Mutter schwer enttäuscht und vor Kummer krank geworden. Aber das kümmerte den Rohling wenig. Ihm ging es darum, die Last auf schnellste Art und Weise wieder loszuwerden.
Und so war es Herbst und schließlich Winter geworden, und die Jungen verrichteten Arbeiten, die man ihnen kaum zugemutet hätte. Selbst am Heiligen Abend sollten noch Tannen aus dem Wald geholt werden, um die Kartoffelmieten zu bedecken. Kalt fegte der Wind über die kahlen Felder. Der kleine Handwagen wurde nach und nach mit den Säcken beladen, die voller aufgeharkter Tannennadeln gestopft waren. Mehrmals schon ging die kleine Fuhre zwischen Wald und Dorf hin und her. Die Miete sollte noch völlig zugedeckt werden. Sack um Sack mit schützendem Streugut wurde daraufgeschüttet. Immer kälter wehte der Wind, und es fror entsetzlich. Die Kälte kroch durch die dicken Wollstrümpfe, die in Holzpantinen staken, und nur durch das hastige Arbeiten konnte man sich einigermaßen warmhalten.
Noch einmal sollte es hinausgehen. Wie wird es mit der Bescherung werden? Man wagte kaum, daran zu denken. Eine warme Stube und etwas ausruhen können, wie schön wäre das! Etwas Zuneigung vom Stiefvater und eine gesunde, fröhliche Mutter. Aber alles war so trostlos! Stumm und abweisend, fast feindlich, blickten die knorrigen Kiefern auf die kleinen abgerissenenjungen herab. Keine Menschenseele war jetzt zu dieser Zeit mehr im Wald. Vom Dorf hörte man hin und wieder das Bellen der Hunde. Die Lichter gingen an und verhießen warme, heimelige Stuben und entsprechende Vorweihnachtsfreuden. Noch einmal sollte der kleine Wagen beladen werden. Da begannen schon die Glocken der Kirchen in den Nachbargemeinden und auch im heimatlichen Dorf zu läuten. Dicke Tränen liefen den beiden jungen über die hohlen Wangen. Warum können nicht auch wir Weihnachten feiern?
Da, es regte sich etwas im Wald. Eine leichte Gestalt ging hastig, aber zielstrebig auf die arbeitenden Jungen zu. Nun erkannten sie die Näherkommende; es war die geliebte Mutter. Von Sorge und Kummer geplagt, trotz ihrer schweren Krankheit, hatte sie es nicht mehr im Bett ausgehalten und war den Jungen in den Wald hinaus gefolgt. Während rings herum die Glocken die Weihnacht einläuteten, unter sternenklarem Himmel, aber mit dem Glauben an eine bessere Zukunft im Herzen, schloß sie ihre Söhne
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