Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
Horizont stand eine dünne, elfenbeinweiße Mondsichel. Der breite Sandstrand war bedeckt von Schnee, der unter den Füßen knirschte.
»Zehn, neun, acht …«
Mit lauten Stimmen zählten sie zusammen die Sekunden bis Schlag zwölf herunter. Jemand entkorkte eine Flasche und füllte die Gläser. Ein Stück entfernt stand eine andere Partygesellschaft.
Plötzlich explodierten Raketen am Himmel. Auf der alten Militärbasis Korsö gegenüber von Sandhamn wurde ein richtig großes Feuerwerk gezündet. Lila, rosa und goldene Kaskaden regneten vor dem nachtblauen Himmel herab.
»Prost Neujahr, Sara.«
Hannes hob lächelnd sein Sektglas, und Sara stieß mit ihm an. Sie setzte das Glas an die Lippen, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie nichts von dem Alkohol trank. Es war vollkommen windstill.
Mit dem spiegelglatten, dunklen Meer vor Augen, den Blick auf die verschneiten Schären in der Ferne gerichtet, empfand Sara Zuversicht, trotz allem.
Es wird ein gutes Jahr werden, ein gutes neues Jahr, flüsterte sie stumm in sich hinein.
Als Sara aufbrach, war es fast halb zwei. Hannes hatte ihr angeboten, sie ein Stück zu begleiten, aber sie hatte abgelehnt.
»Ich bin die Strecke schon hundertmal gegangen«, wehrte Sara lachend ab. »Meinetwegen brauchst du nicht hinaus in die Kälte.«
Sie umarmte ihn dankbar und zog die Kapuze über die Wollmütze. Dann drehte sie sich um und machte sich auf den Heimweg.
Die Nacht war eisig kalt, und Sara beschleunigte ihre Schritte. Jetzt nur noch ein kleines Stück durch den Wald, dann würde sie das Haus vor sich sehen.
Der Lichtkegel der Taschenlampe flackerte.
Oh nein, dachte Sara. Jetzt sag nicht, dass die Batterien leer sind!
Sie schüttelte die Taschenlampe, als könnte das den Batterien neue Energie geben, aber das Licht wurde immer schwächer. Sie schüttelte noch einmal, und plötzlich ging die Lampe aus.
Die Dunkelheit war rabenschwarz.
Sara blieb stehen. Auf einmal fühlte sie sich unsicher, obwohl sie die Gegend wie ihre Westentasche kannte.
In der Ferne rauschte das Meer.
Sara schloss die Augen und versuchte, sich zu orientieren. Wenn sie einfach in derselben Richtung weiterging, müsste sie bald die Außenlampe an der Hausecke sehen. Es konnte nicht mehr weit sein, nur noch ein kurzes Stück, dann war sie zu Hause.
Eine kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte, dass es durchaus möglich war, sich in der Dunkelheit zu verirren. Wenn sie nicht nach Hause fand, würde sie erfrieren, es herrschten jetzt mindestens fünfzehn Grad Frost. Die Sonne ging erst in sieben Stunden auf, so lange würde sie nicht durchhalten.
Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie wischte sie wütend ab und ging weiter. Langsam setzte sie einen Schritt vor den anderen, um die Richtung zu halten. Sie hatte von Leuten gelesen, die sich verirrten; sie waren im Kreis gegangen, immer im Kreis, ohne je irgendwohin zu kommen. Sie musste geradeaus gehen, sonst war sie verloren.
Wie lange war sie eigentlich schon unterwegs? Mühsam zog sie das Handy aus der Jackentasche, um nachzusehen.
Plötzlich kam ihr die Idee, dass sie das Handy als Taschenlampe benutzen könnte. Viel Licht spendete es nicht, aber sie konnte wenigstens ein paar Zentimeter voraus sehen. Der Einfall gab ihr Mut, und sie leuchtete mit dem Handydisplay, so gut sie konnte. Es genügte, um ihrer eigenen Spur zu folgen, die sie am Nachmittag hinterlassen hatte.
Nach einer, wie ihr vorkam, sehr langen Zeit, die aber wahrscheinlich nur wenige Minuten gedauert hatte, sah sie plötzlich die Außenlampe ihres Hauses.
Sara schnaufte erleichtert. Im Laufschritt hastete sie auf die Haustür zu und schloss auf. Als sie die Tür hinter sich schloss, kamen die Tränen. Die Angst, sich fast verlaufen zu haben, mischte sich mit der Trauer um Martin. Sara weinte so heftig, dass sie mit dem Rücken an der Wand auf den Fußboden sank, ohne das Licht eingeschaltet zu haben.
Sie wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, der nicht aufhören wollte.
Plötzlich hörte sie Schritte draußen. Diesmal war es keine Einbildung wie am Abend zuvor. Jemand ging über die Veranda.
Sara unterdrückte das Weinen mit aller Macht und hickste vor Angst.
Sie presste sich noch fester an die Wand und schlang in einer kindlich beschützenden Geste die Arme um den Oberkörper. Starr vor Schreck horchte sie auf weitere Geräusche.
Ein Schatten fiel durchs Fenster, aber sie traute sich nicht, nachzusehen, wer es war. Es schien, als würde die Person draußen
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