Weihnachtszauber 02
Amelia!“
„Wurde der Verband seit gestern Abend gewechselt?“, fragte sie beharrlich.
„Ich versichere Ihnen, mir geht es gut, Amelia.“ Er bedachte sie mit einem warnenden, frostigen Blick, damit sie das Thema nicht weiterverfolgte.
Amelia ignorierte die Warnung. „Mit Verlaub, Sie erwecken nicht den Eindruck, als ginge es Ihnen gut, Mylord. Sie wirken blass, und Ihr linker Arm scheint Ihnen ein wenig ... Missbehagen zu bereiten.“
Er schüttelte den Kopf. „Wenn mein Arm ein wenig schmerzt, dann nur, weil ich mich bei dem langen Ritt heute überanstrengt habe.“
„Vielleicht sollte ich besser mal nachsehen ...“
Seine grauen Augen blitzten. „Amelia ...“
„Haben Sie wenigstens Ihrem Kammerdiener erlaubt, den Verband zu wechseln?“
„Verflucht, Amelia ...“
„Würden Sie uns bitte allein lassen, Watkins?“, wandte sich Amelia mit einem liebenswürdigen Lächeln an den Butler. Gray würde es wohl kaum gefallen, wenn Watkins, der erst vor wenigen Stunden zurückgekehrt war, wieder kündigte, bloß weil sie sich im Ton vergriffen hatte. Außerdem war sie über Gray verärgert, nicht über Watkins. „Ich werde klingeln, wenn Sie benötigt werden“, sagte sie freundlich zu dem älteren Mann. Sie wartete, bis der Butler das Zimmer verlassen und die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, dann legte sie die Serviette auf den Tisch und stand auf.
„Amelia ...“
„Mylord?“ Sie erwiderte Grays Blick ungerührt und ließ ihn nicht aus den Augen, während sie gemächlich durch das Zimmer zu ihm hinüberschlenderte.
Misstrauisch beobachtete er, wie sie näher kam. Ein Muskel zuckte in seiner Wange.
„Ich schwöre, Amelia, wenn Sie nicht aufhören, mich in diesem überheblichen Ton mit ‚Mylord‘ anzureden, dann ...“
„Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Sie wieder Gideon nenne?“, fragte sie leise, als sie neben ihm stehen blieb.
Nein, das wäre mir nicht lieber, dachte Gray und wünschte, Amelia stünde nicht so nah bei ihm. So nah, dass er erneut ihren unvergleichlichen Duft wahrnehmen konnte: ein blumiges, äußerst weibliches Parfüm. So nah, dass er den schnell schlagenden Puls an ihrer Kehle erkennen konnte. So nah, dass die Rundungen ihrer Brüste nur wenige Zentimeter von seinen Augen entfernt waren.
So nah, dass allein ihre Nähe seinen Körper in Erregung versetzte.
„Bitte legen Sie Ihren Frackrock, die Weste und das Hemd ab, Gideon“, sagte sie.
Himmel, wie viel muss ein Mann ertragen können? fragte sich Gray voll innerer Qual.
Wie vielen Versuchungen widerstehen? Bei Amelia aber musste er ganz eindeutig jeglicher Versuchung widerstehen!
„Das werde ich ganz gewiss nicht. Was glauben Sie eigentlich, was Sie da tun?“ Er drehte sich zu Amelia, die hinter seinen Stuhl gegangen und ihre Hände an den Kragen seines Frackrocks gelegt hatte.
Sie hob die Augenbrauen. „Ich wollte Ihnen natürlich helfen.“
„Verdammt, Amelia ...“
„Sie sollten nicht so oft fluchen, Gideon“, wies sie ihn vorwurfsvoll zurecht.
„Ihre Eigensinnigkeit kann selbst einen Heiligen zum Fluchen bringen“, erwiderte er durch zusammengebissene Zähne und widersetzte sich ihrem Versuch, den eng geschnittenen Frack über seine Schultern zu streifen, obwohl sein Arm dadurch noch mehr schmerzte.
Sie bedachte ihn mit einem gereizten Blick. „Wie die Narben auf Ihrer Brust und Ihrem Rücken beweisen, sind Sie ganz gewiss nie ein Heiliger gewesen.“
Gray schwieg. Amelia konnte nicht wissen, dass er sich die Narben, die sie am Vorabend gesehen hatte, durch seine jahrelange ehrenvolle Arbeit für den Geheimdienst der Krone zugezogen hatte. Jahre, in denen er alle – seinen Bruder Perry und seine Familie eingeschlossen – in dem Glauben lassen musste, dass er ein Lebemann und Herzensbrecher war, der sich die Hände im blutigen Krieg nicht schmutzig machen wollte. Kein Wunder, dass Amelia nun zum zweiten Mal andeutete, er hätte die Narben durch unehrenhafte Taten selbst verschuldet ...
Amelia nutzte seine kurze Abgelenktheit und zog ihm geschickt den Frack aus. „Nun noch Ihre Weste und Ihr Hemd, bitte“, sagte sie zufrieden.
„Ich hege nicht die Absicht, in Ihrer Gegenwart weitere Kleidungsstücke abzulegen.
Lassen Sie das sofort sein!“, sagte er lauter, da sie sich einfach vor ihn gestellt und begonnen hatte, die Knöpfe seiner Weste zu öffnen.
Amelia hielt inne. Aber nicht, weil Gray sie dazu angewiesen hatte, sondern weil ihr seine Anspannung plötzlich bewusst wurde.
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