Weil deine Augen ihn nicht sehen
»Hat sie zurückgerufen?«, fragte er.
»Sie ist auf Cape Cod«, sagte Clint. »Ich werde nach Boston fliegen und einen Wagen mieten, um hinzufahren.«
»Wo ist sie?«
»Sie versteckt sich in einem Motel in Chatham. Ein Bulle ist schon auf sie aufmerksam geworden.«
»Wie heißt das Motel?«
»Shell and Dune. «
»Was haben Sie vor, wenn Sie dort sind?«
»Genau das, was Sie denken. Hören Sie, der Taxifahrer hupt schon. Er steht vor der Einfahrt und kann nicht rein.«
»Gut, dann war’s das wohl zwischen uns beiden. Viel Glück, Clint.« Kater Karlo unterbrach das Gespräch, wartete kurz und gab dann die Nummer eines Privatflugzeug-Service ein. »Ich möchte in einer Stunde von Teterboro aus losfliegen und auf dem am nächsten zu Chatham auf Cape Cod gelegenen Flugplatz landen«, sagte er.
68
DIE VIERUNDSECHZIGJÄHRIGE Elsie Stone war heute den ganzen Tag noch nicht dazu gekommen, die Zeitung zu lesen. Während der Arbeit bei McDonald’s nahe dem Einkaufszentrum von Cape Cod hatte sie keine Muße zum Lesen, und an diesem Samstag war sie gleich zum Haus ihrer Tochter in Yarmouth gefahren, um ihre sechs Jahre alte Enkelin abzuholen. Wie Elsie es gerne ausdrückte, waren sie und Debby »ganz dicke Freundinnen«, und sie war zu jeder Zeit bereit, ihre Enkelin zu hüten.
Elsie hatte die Berichte über die Frawley-Entführung mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Die Vorstellung, dass jemand Debby entführen und umbringen könnte, war so entsetzlich, dass sie dafür keine Worte finden konnte. Wenigstens haben die Frawleys eines der Mädchen zurückbekommen, dachte sie, aber, o mein Gott, wie furchtbar muss es für sie sein.
An diesem Tag fuhr sie mit Debby zu ihrem Haus zurück, und dann backten sie Kekse. »Wie geht’s deiner imaginären Freundin?«, fragte sie, während Debby den mit Schokoladenstückchen gefüllten Teig löffelweise auf das Backblech gab.
»Ach, Omi, du hast wieder was vergessen. Ich hab doch gar keine imaginäre Freundin mehr. Das war, als ich klein war.« Debby schüttelte nachdrücklich den Kopf, so dass ihr hellbraunes Haar auf den Schultern hüpfte.
»Ach ja, stimmt.« An Elsies Augenwinkeln bildeten sich zahllose Fältchen, wenn sie lächelte. »Ich glaube, ich musste an deine imaginäre Freundin denken, weil heute ein kleiner Junge in unserem Restaurant war. Er hieß Stevie, und er hatte eine imaginäre Freundin, die Kathy hieß.«
»Das hier wird ein richtig großer Keks«, verkündete Debby.
Imaginäre Freundinnen scheinen sie nicht mehr zu interessieren, dachte Elsie. Komisch, ich muss die ganze Zeit an diesen kleinen Jungen denken. Die Mutter hatte es irgendwie eilig. Sie hat den Armen nicht mehr als ein paar Bissen essen lassen.
Als sie das Backblech in den Ofen geschoben hatten, sagte sie: »Weißt du was, Debs, bis die fertig sind, wird sich Omi ein bisschen hinsetzen und die Zeitung lesen. Und du kannst schon mal anfangen, eine neue Seite in deinem Barbiepuppenbuch auszumalen.«
Elsie machte es sich in ihrem Komfort-Liegesessel bequem und schlug die Zeitung auf. Ein Artikel über die neuesten Entwicklungen im Fall der Frawley-Zwillinge stand auf der ersten Seite. Die Überschrift lautete: VERSTÄRKTE SUCHE NACH DEN ENTFÜHRERN. Beim Anblick des Fotos der Zwillinge vor ihrer Geburtstagstorte stiegen Elsie Tränen in die Augen. Sie vertiefte sich in den Artikel. Die Familie hatte sich von der Öffentlichkeit abgeschottet. Das FBI hatte bestätigt, dass der unter dem Namen Lucas Wohl bekannte Täter in seinem Abschiedsbrief gestanden hatte, Kathy unabsichtlich getötet zu haben. Anhand seiner Fingerabdrücke war Wohls wahre Identität festgestellt worden. Er hieß in Wahrheit Jimmy Nelson und war ein Gauner mit einschlägigen Vorstrafen, der zuletzt sechs Jahre in Attica wegen einer Serie von Einbrüchen abgesessen hatte.
Kopfschüttelnd legte Elsie die Zeitung wieder zusammen. Ihr Blick blieb immer wieder an dem Foto der Zwillinge auf der ersten Seite hängen. »Kathy und Kelly an ihrem dritten
Geburtstag«, lautete die Unterschrift. Sie starrte auf das Bild und versuchte herauszufinden, warum ihr irgendetwas darauf so bekannt vorkam.
In diesem Augenblick begann die Zeituhr des Backofens zu summen. Debby ließ ihren Buntstift fallen und sah von ihrem Malbuch auf. »Omi, Omi, die Kekse sind fertig«, rief sie, während sie in die Küche vorausrannte.
Elsie ließ die Zeitung auf den Fußboden gleiten und stand auf, um ihr zu folgen.
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NACHDEM CAPTAIN Jed
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