Weil Du an die Liebe glaubst
gebeten hatte, war es die schwächste Zeichnung. Die Gesichtszüge waren erkennbar, aber der Gesamteffekt war hart und recht abschreckend, verriet nichts von seiner Phantasie oder seinem trockenen Humor. Es mußte schwer sein, sich selbst klar zu sehen.
Mit zitternder Stimme sagte Anne: »Sieh dir das an.«
Die Zeichnung, die sie hielt, zeigte ihre Familie im Garten. Jamie saß fröhlich rittlings auf dem Rücken seines Vaters, wobei Charles die Rolle eines Kavalleriepferdes spielte. Molly saß bei ihrer Mutter, die durch die Reife ihrer Jahre ungeheuer überlegen wirkte, während sie gleichzeitig heimlich Clancy mit einem Kuchen fütterte.
Catherine lachte. »Kenneth sei gepriesen. Daß er daran gedacht hat, das für uns
zusammenzustellen, wo doch so viel anderes geschehen ist.«
Anne musterte eine Zeichnung von Charles in Uniform. Seinen federgeschmückten Helm hatte er unter den Arm geklemmt. Er hatte die ernste Miene eines Mannes, der den Krieg erlebt hat, ohne durch ihn verroht zu sein. »Heute in einem Jahrhundert werden künftige Mowbrys daraufblicken und wissen, was für ein Mann ihr Ururgroßvater war.«
»Sie werden auf seine Nachkommen stolz sein.«
Anne fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich will nicht wieder weinen«, sagte sie heftig. »Ich will es nicht.«
Ein langes Schweigen trat ein, nur durchbrochen von dem harten Rhythmus ferner Trommeln.
Catherine, die das hörte, sagte: »Keiner von uns wird ein Auge zutun. Laß uns in die Stadtmitte gehen und zuschauen, wie die Truppen sich sammeln.«
Anne stimmte zu, und sie gingen, um ihre Ballkleider gegen einfachere Kleidung zu tauschen. Als Catherine zu Anne gehen wollte, steckte Amy ihren Kopf aus der Tür ihres Zimmers. »Ist Papa gegangen?«
Catherine, die sich wünschte, daß Colin sich die Zeit genommen hätte, seine Tochter zu wecken, sagte: »Ja. Er wollte dich nicht stören.«
»Ich hätte nichts dagegen gehabt«, sagte Amy mit finsterer Miene. »Wollen du und Tante Anne ausgehen, um zuzuschauen, was passiert?«
Als Catherine nickte, bat Amy: »Bitte, kann ich mit dir gehen? Es ist schrecklich, allein zu sein und nicht schlafen zu können.«
Es war nur eine Woche bis zur
Sommersonnenwende, und der Himmel erhellte sich bereits im Osten, als die drei über die Rue de Namur spazierten. Die Trommeln wurden jetzt lauter. Ihr Dröhnen wurde übertönt von durchdringenden Trompeten, die zum Sammeln riefen. Alliierte Soldaten waren in ganz Brüssel einquartiert, und auf den Straßen brodelte es von Leben, als Männer auf die Einberufung reagierten, ihre Jacken zuknöpften und ihre Tornister schulterten, während sie aus den Häusern wankten.
Ein britisches Infanterieregiment schwenkte an ihnen vorbei, marschierte zum harten Rumm-Dumm-Dumm der Trommeln zum Namur-Tor. Der hämmernde Rhythmus ging ins Blut und war ebenso erregend wie beunruhigend. Catherine musterte die marschierenden Soldaten und überlegte, ob dies das Regiment von Michael sein könnte. Es war zu dunkel, um die Abzeichen an den Uniformen zu erkennen, und sie konnte seine aufrechte Gestalt unter den Offizieren, die neben ihren Truppen ritten, nicht erkennen. Egal. Selbst wenn es sein Regiment war, so hatten sie sich bereits verabschiedet. Das erneut zu tun, vor Anne und Amy, würde qualvoll sein.
Auf dem Place Royale herrschte reines Chaos.
Soldaten aus einem halben Dutzend Nationen suchten nach ihren Kompanien, manche mit weinenden Frauen neben sich. Einige Kriegsveteranen schliefen, ihre Köpfe auf ihren Tornistern, hörten den Lärm von Pferden, Kanonen und Wagen nicht, die über die Steine ratterten.
Amy ergriff Catherines Hand. »Boney hat keine Chance, nicht wahr?«
»Nicht gegen Wellington. Der Herzog hat noch nie in seinem Leben eine Schlacht verloren«, sagte Catherine, die versuchte, zuversichtlich zu klingen.
Vom Place Royale gingen sie zu dem
nahegelegenen Park. Es war gegen vier Uhr, und die Sommersonne stieg über den Horizont.
Indirekte Sonnenstrahlen erfaßten die Türme der Kathedrale St. Michael. Catherine lächelte bei diesem Anblick. Erinnerungen an Michael waren überall.
Im Park musterte der grimmig dreinblickende, schroffe walisische General Picton seine Division.
Anne sagte: »Die Rifle-Brigade ist doch bei Picton, oder? Vielleicht können wir Kenneth finden.«
Sie betrachteten die wimmelnde Masse grüngekleideter Riflemen, suchten nach Offizieren. Amy entdeckte ihn mit ihren scharfen Augen. »Seht doch!« sagte sie
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