Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weil du mich fesselst

Weil du mich fesselst

Titel: Weil du mich fesselst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Kery
Vom Netzwerk:
Verbrechen gekratzt hatte. Andere Beweisstücke waren besser vor unachtsameren Augen als den seinen versteckt worden. So wie beispielsweise der Beweis, den er gestern gefunden hatte.
    In einem Geheimfach von Gaines’ uraltem Schreibtisch hatte Ian akribisch geführte Tagebücher entdeckt. In einem ledergebundenen Notizbuch hatte Gaines in seiner gestochen scharfen Handschrift methodisch eine Liste von Frauen geführt und Daten notiert, die von seinem sechzehnten Lebensjahr bis zu seinem fünfunddreißigsten reichten, dem letzten Eintrag. Über die Jahrzehnte waren Hunderte von Frauennamen zusammengekommen. Je älter Gaines wurde, umso präziser und detaillierter wurden die Einträge. Zunächst war Ian davon ausgegangen, dass es sich dabei um Hinweise handelte, wann er diese Frauen getroffen oder mit ihnen Sex gehabt hatte. Doch nach einer Weile bemerkte er, dass manche Namen mit einem X oder einem Kreis gekennzeichnet waren. Schließlich fiel ihm der allen gemeinsame Rhythmus auf, und er kam zu der erschreckenden Erkenntnis, dass Gaines einen Menstruationskalender der Frauen entworfen hatte. Ian hatte Gaines’ Anleitung zur optimalen Befruchtung gefunden.
    Nach dieser erschütternden Erkenntnis konnte Ian den Rest des Tages nichts mehr zu sich nehmen.
    Was treibt einen Mann zu solchen Dingen? Ian war von dieser Frage besessen.
    Der Dachboden, auf dem er heute stand, hatte ihm in dieser Beziehung kaum weitergeholfen. Seine wichtigste Entdeckung waren vermutlich die Briefe, die Louisa Aurore geschrieben hatte, als er acht, neun und sechzehn Jahre alt gewesen war – Briefe, die an Trevor Gaines gerichtet waren.
    Er war nur auf diese drei Briefe gestoßen – die Gesamtsumme der Schreiben, die Trevor Gaines entweder in Erinnerung an seine Mutter aufbewahrt oder aller Briefe, die sie ihm je geschrieben hatte. Letzteres erschien Ian wahrscheinlicher. Nach dem, was ihm bei seiner obsessiven Suche bislang über seine Großmutter väterlicherseits klar geworden war, musste sie ein kaltes, herzloses Flittchen gewesen sein. Sie hatte Trevor im Alter von sieben Jahren in ein Internat gesteckt und einen neuen Mann geheiratet. Aus einer Reihe von Briefen, die Gaines an Freunde geschrieben hatte, bekam Ian den Eindruck, dass Trevor nicht unglücklich darüber gewesen war, fortgehen zu müssen. Er hasste seinen neuen Stiefvater, Alfred Aurore, und nahm es ihm offensichtlich übel, dass er alle Aufmerksamkeit seiner Mutter auf sich zu lenken wusste. Soweit Ian es beurteilen konnte, schickte Louisa ihr einziges Kind fort und vergaß es umgehend für zehn Jahre. Sollte Trevor jemals Schmerz darüber empfunden haben, dass ihn seine Mutter verlassen hatte, so kompensierte er ihn wohl durch sein Studium. Er machte sich als begabter Mathematik-, Physik-und Ingenieursstudent einen Namen. Er zeigte eine besondere Neigung für computergesteuerte, mechanische Objekte und ließ sich bereits im Alter von achtzehn seine erste Erfindung patentieren – ein Bauteil für eine Uhr. Es vergrößerte Ians Bitterkeit nur noch, als er sich eingestehen musste, dass wohl der Großteil seines eigenen Talents für das Programmieren und seine technisch-mechanische Begabung von seinem verfluchten Vater stammte.
    Er hätte liebend gerne all seine Talente dafür geopfert, einen halbwegs normalen Vater zu haben. Er hätte alles dafür aufgegeben, nur um vollständig von Trevor Gaines gereinigt zu werden.
    Nachdem Louisas zweiter Mann im Alter von neunundvierzig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, erbte Louisa dessen gesamtes Vermögen. Sie war da bereits die Erbin von Ians Großvater väterlicherseits, einem Mann mit Namen Elijah Gaines. Der Tod ihres zweiten Ehemannes war der Anlass für jenen letzten, den dritten Brief an den zu der Zeit sechzehnjährigen Trevor. Solltest du nichts Besseres vorhaben, so steht es dir frei, Weihnachten in Aurore zu verbringen. Wir sind hier natürlich in tiefer Trauer, aber das wird darauf keinen großen Einfluss haben. Wie du weißt, habe ich mir nie viel aus diesem Fest gemacht. Du wärst also ohne Zweifel glücklicher, würdest du Weihnachten wie üblich verbringen, bei der Familie deines Schulleiters und mit dem Herumspielen an deinen blödsinnigen Zahnrädern und Maschinen.
    Eine reizende, knuddelige Frau, dachte Ian und blickte finster drein. Er trat gegen die zerfallenden Reste des umgestürzten Dielenschranks. Nicht, dass ihm Gaines leidtäte. Nicht um alles in der Welt. Gaines’ Mutter mochte teilweise die

Weitere Kostenlose Bücher