Weil du mich siehst
besorgt betrachtete.
»Wie geht es Ihnen?«, stellte sie ihre Standardfrage.
Zum ersten Mal machte Paula ihr nichts vor: »Nicht so gut, um ehrlich zu sein.«
»Oh. Sind Sie krank oder ist etwas passiert?«
»Ich bin nur ziemlich müde. Habe Kopfschmerzen.«
»Haben Sie eine Tablette genommen?«
Paula nickte.
»Sie sollten sich später ein wenig hinlegen.«
»Werde ich machen«, versprach Paula.
»Und was denken Sie, werden Sie es morgen zur Therapie schaffen?«
Paula dachte an die Gruppentherapie und an Finn, und ihr Gesicht erhellte sich ein bisschen. »Ja. Ich werde hingehen.«
Frau Ludwig lächelte. »Wie läuft die Therapie?«
»Gut.« Paulas Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln.
»Ja?«
»Ja.«
»Möchten Sie mir davon erzählen?«
»Ich habe in der letzten Sitzung aktiv mitgemacht. Sie können Johannes fragen.«
»Er hat es mir bereits berichtet«, sagte Frau Ludwig, »und auch, dass es ein neues Gruppenmitglied gibt. Einen jungen Mann, mit dem Sie sich anscheinend gut verstehen.«
»So kann man das noch nicht wirklich nennen. Wir haben uns kennengelernt, jedoch noch kein einziges Wort miteinander gesprochen. Er ist stumm.«
»Das habe ich gehört. Und ist das ein Hindernis für Sie?«
Paula dachte nach, schüttelte dann den Kopf. »Nein. Nicht wirklich. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber vielleicht werden wir einen Weg finden, miteinander zu kommunizieren.«
Die Sozialarbeiterin war heute sehr zufrieden mit Paula. Sie wusste, dass die junge Frau dringend einen Grund brauchte, um aus ihrer depressiven Phase herauszukommen. Eine Motivation, etwas, das sie wieder hoffen ließ. Es lag allein an Paula, es war ihre Entscheidung, ob sie das Leben in ihren jungen Jahren schon aufgeben wollte oder ob sie stark genug war, sich selbst noch eine Chance zu geben.
Sie wollte Paula aber nicht bedrängen, das wäre genau der falsche Weg, also fragte sie stattdessen: »Wie war der Samstag mit Damian?«
Sofort verschwand Paulas Lächeln wieder. »Es war schön.«
»Ihre Gesichtszüge sagen mir etwas anderes.«
»Nein, wirklich, es war wunderschön, Zeit mit ihm zu verbringen, ihn auf meinem Schoß sitzen zu haben, ihn lachen zu hören. Ich fange nur an mich zu fragen, ob es jemals dazu kommt ...«
»Wozu?«
»Dass er wieder bei mir sein kann, dass wir wieder vereint sind. Manchmal kommt es mir vor wie Wunschdenken, als wenn es aber niemals wahr werden würde.«
»Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, Paula, Sie sind auf dem besten Wege dorthin, wo Sie sein müssen, für Damian. Wenn Sie es wirklich wollen, dann werden Sie es auch schaffen. Sie sind eine tapfere, starke Frau, kämpfen Sie für Ihr Glück und es wird wahr werden.«
Paula nickte, nicht wirklich überzeugt. So langsam verließ sie die Zuversicht. Alles, was sie am Leben gehalten hatte, alles, was sie die unendlichen zwei Jahre in der Klinik davon abgehalten hatte aufzugeben, war der Gedanke daran gewesen, eines Tages wieder mit Damian zusammen zu sein. Als sie noch am Boden war, war es ihr so leicht gefallen, daran zu glauben, und jetzt, wo sie ihrem Ziel immer näher kam, wurde es immer schwerer, den Glauben daran aufrecht zu erhalten.
»Ich muss Ihnen diese Frage noch stellen«, sagte Frau Ludwig, bevor sie sich verabschiedete. »Haben Sie wieder diese Gedanken gehabt?«
Keiner von ihnen sprach es je aus, doch sie beide wussten, worum es ging.
»Nein.« Paula schüttelte den Kopf. Wieder eine Lüge.
»Dann ist es ja gut. Bis nächsten Montag.« Frau Ludwig stand auf und legte Paula eine Hand auf die Schulter. »Es wird schon alles gut werden.«
♥
Den ganzen Nachmittag saß Paula am Fenster und dachte an Damian. Sie dachte an den Tag zurück, an dem Sandra ihn nach dem Unfall mit ins Krankenhaus gebracht hatte, daran, wie er geweint hatte bei ihrem Anblick. Wie sie selbst, erst nach einigen Tagen, die brutale Wucht der Dinge realisiert hatte. Wie sie verstanden hatte, dass ihr Mann fort war, ebenso wie ihre Tochter, dass sie jetzt allein mit Damian dastand.
Als man ihr wenig später auch noch mitteilte, dass sie ihr Augenlicht nicht zurückgewinnen würde, lag ihre Welt komplett in Trümmern. Sie sah keinen Sinn mehr im Dasein, wollte nicht mehr weiterleben. Sie schrie und weinte Tag und Nacht, sie wollte nur noch tot sein, genau wie sie.
Wie unfair es war, dass sie allein
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