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Weil du mich siehst

Weil du mich siehst

Titel: Weil du mich siehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Inusa
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Damian seine Tante nicht plötzlich »Mama« nennen würde, das könnte sie nicht verkraften. Doch bisher tat er es nicht. Er nannte sie Sandra und Paula nannte er Mama. Auch wenn er noch klein war, spürte er doch, wo er herkam.
     
    Als sie auf den Hof fuhren, konnte Paula Kindergeschrei hören. Jens half ihr beim Aussteigen aus dem Auto und brachte sie ins Haus, wo Sandra sie mit einer Umarmung begrüßte.
     
    »Wo ist Damian?«, wollte Paula sofort wissen.
     
    »Die Kinder spielen im Garten. Komm, ich bringe dich zu ihm.«
     
    Sie gingen ums Haus herum, Paula bei Sandra eingehakt. Sie konnte ihn schon von Weitem hören. Wie er lachte, wie unbeschwert er spielte.
     
    Sie erinnerte sich an Zeiten, in denen sie jeden Tag Kinderlachen gehört hatte.
     
    »Seht mal, wer da ist«, rief Sandra den Kindern zu.
     
    Damian blickte zu ihnen und schrie: »Mama!«
     
    Er rannte auf sie zu und in ihre Arme. Paula ging in die Knie und hielt ihren kleinen Sohn so fest, als wüsste sie nicht, wann sie ihn das nächste Mal wiedersehen würde.
    Es war das schönste Gefühl der Welt. Mutterliebe war mit nichts zu vergleichen, nicht mit der Liebe zu einem Partner, der Liebe zu einem Haustier, der Liebe zu einem Ort, einer Stadt, der Musik, der Literatur, der Kunst, der Religion, dem Leben.
     
    Mutterliebe war stärker als jedes andere Gefühl. Nur eine Mutter fühlte ohne Worte, wenn es ihrem Kind schlecht ging. Nur eine Mutter sah ohne Licht, wenn ihr Kind Kummer hatte. Paula hatte ihren Sohn seit zwei Jahren nicht gesehen, und doch konnte sie spüren, dass es ihm gut ging. Er war glücklich.
     
    Im Laufe des Tages fragte sich Paula immer wieder, ob Damian auch mit ihr glücklich sein könnte. So sehr sie sich auch wünschte, ihn endlich wieder bei sich zu haben, kamen ihr doch langsam Zweifel, ob es auch das Beste für ihn wäre.
     
    Sie genoss jede Minute dieses wunderbaren Tages. Sie liebte es, bei Sandra und Jens im Garten zu sitzen, dem Vogelgezwitscher zu lauschen, dem Kinderlachen zuzuhören, sich das Erdbeereis auf der Zunge zergehen zu lassen, den guten Kaffee ihren Hals hinunterlaufen zu lassen, Sandras Hand zu halten, Damian immer mal wieder auf ihrem Schoss sitzen zu haben, ihn zu drücken, seinen süßen Duft einzuatmen, seine Wärme zu spüren, seinen Atem zu hören, seinen Worten zu lauschen, wenn er von der Schule und seinen Freunden erzählte. Sie liebte jeden Moment und kostete ihn voll aus.
     
    Doch jeder Tag nähert sich irgendwann dem Ende, und der Moment war gekommen, in dem Paula wieder Abschied nehmen musste. Jens schlug vor, dass sie über Nacht bleiben könne, doch der Gedanke daran machte ihr Angst. Sie kannte die Umgebung nicht gut genug. Was war, wenn sie nachts auf die Toilette müsste oder wenn sie sich irgendwo stieß. Sie hatte außerdem nichts dabei, nicht ihr Nachthemd und auch nicht ihre Zahnbürste, und auch wenn man ihr all dies anbot, konnte sie doch immer eine neue Ausrede finden, bis man sie schweren Herzens gehen ließ.
     
    Sie weinte beim Abschied. Wie gerne wäre sie bei Damian geblieben. Aber der Tag war lang gewesen und sie war noch nicht bereit für mehr.
     
    Eine letzte innige Umarmung. Ein Kuss auf die Stirn, ein »Bis bald, Mama!«, dann saß sie wieder auf dem Rücksitz von Jens Wagen und hasste sich selbst, ihre Ängste und ihre Unsicherheit. Wie gerne wäre sie unbeschwerter gewesen. Doch dass sie je wieder unbeschwert und frei sein würde, konnte sie sich nicht vorstellen.
     
    Dieses Leben war doch kein Leben. Es war eine einzige Qual. Damian zurücklassen zu müssen war eine Tortur.
     
    »Ich hole dich in zwei Wochen wieder ab, am Samstag. Wenn du möchtest«, sagte Jens, als er sie hoch in ihre Wohnung brachte.
     
    »Ja. Komm gut nach Hause«, brachte sie gerade noch heraus, ließ sich von ihm umarmen und schloss die Tür hinter sich. Sie ging sofort ins Bett und weinte bittere Tränen, bis der Morgen graute.

Vaterliebe
     
     
    Finn hatte sich Spiegeleier gemacht. Eier waren das Einzige gewesen, was er noch im Kühlschrank vorgefunden hatte. Sein Vater war schon länger nicht einkaufen gewesen und ihm selbst war es ziemlich egal, was es zu essen gab. Mit seinem Teller voller Spiegeleier und einer trockenen, alten Scheibe Brot setzte er sich vor den Fernseher und sah sich ein paar Crime-Serien an.
     
    Diese fernen Städte, Los Angeles, New York und Miami, waren Orte in einer anderen Welt. Finn wusste, dass er sie nie in echt sehen würde, nicht die

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