Weil Ich Euch Liebte
»Du weißt, ich war schon immer ein Bewunderer von Arthur Conan Doyle. Ein Fan, könnte man sagen.«
Ich folgte seinem Blick. Ich stand auf, stellte mich vor das Regal und hielt den Kopf etwas schräg, um zu lesen, was auf den Bücherrücken stand. Eine Studie in Scharlachrot, Die Abenteuer des Sherlock Holmes, Das Zeichen der Vier.
»Die sehen echt alt aus«, sagte ich. »Darf ich?«
Edwin nickte, und ich zog eines der Bücher heraus. Vorsichtig schlug ich es auf. »Sind das alles Erstausgaben?«
»Nein. Aber ich habe welche, eingeschweißt und sicher verwahrt. Sogar ein vom Autor signiertes. Kennst du seine Bücher?«
»Kann ich nicht behaupten – das mit dem Hund vielleicht. Von Baskerville, stimmt’s? Aus meiner Kinderzeit. Und Sheila und ich haben uns diesen Film angesehen, den mit dem Typen, der auch den Iron Man gespielt hat.«
Edwin schloss kurz die Augen. »Ein grauenhaftes Machwerk«, sagte er. »Nicht Iron Man, der hat mir gefallen.« Er wirkte enttäuscht, vielleicht ob der Lücken in meiner literarischen Bildung. Davon gab es einen Haufen.
»Ich will dich eines fragen – ganz ohne Umschweife: So, wie du Sheila kennst, besteht deiner Meinung nach auch nur die geringste Möglichkeit, dass sie vorsätzlich eine Flasche Wodka trinkt und dann den Unfall verursacht, der sie und zwei andere Menschen das Leben kostet?«
Ich schluckte. »Nein. Das ist unmöglich. Und trotzdem –«
» Im Zeichen der Vier sagt Holmes, und ich glaube, ich kann es wörtlich zitieren: ›Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, dann muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.‹ Ist dir dieser Satz geläufig?«
»Ich glaube, ich hab ihn schon mal gehört. Sie wollen also sagen, wenn es unmöglich ist, dass Sheila so etwas tun würde, dann muss es eine andere Erklärung für das geben, was geschehen ist, selbst wenn sie … wirklich absurd klingt.«
Edwin nickte. »In der Kurzversion.«
»Was für andere Erklärungen könnte es denn geben?«
Edwin schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen solltest du meiner Meinung auf jeden Fall in Erwägung ziehen, dass es welche gibt.«
Einundzwanzig
Als ich wieder im Wagen saß, klingelte mein Handy. Es war eine der Privatschulen, die ich angerufen hatte. Die Frau beantwortete meine Fragen zu Schulgebühren (höher, als ich gedacht hatte), ob Kelly mitten im Schuljahr wechseln dürfte (sie dürfte) und ob ihre schulischen Leistungen den Anforderungen für eine Aufnahme genügten (vielleicht).
»Und Sie wissen natürlich, dass wir ein Internat sind«, sagte sie. »Die Schüler wohnen hier.«
»Aber wir wohnen doch schon in Milford«, klärte ich sie auf. »Kelly könnte zu Hause wohnen bleiben.«
»Das entspricht aber nicht unserem Bildungsansatz«, klärte sie mich auf. »Wir glauben an eine eher ganzheitliche Förderung.«
»Trotzdem danke«, sagte ich. So ein Schwachsinn. Wenn Kelly in der gleichen Stadt wie ich war, dann würde sie auch bei mir wohnen. Es mochte ja Eltern geben, die ihren Nachwuchs nur zu gern in eine Schule abschoben, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Ich gehörte jedenfalls nicht dazu.
Ich rief Sally an, um sie daran zu erinnern, dass ich zur Gedenkzeremonie für Ann Slocum fahren und den Rest des Tages wahrscheinlich weder ins Büro noch an eine der Baustellen zurückkehren würde. Bei der Schule angekommen, stellte ich den Wagen ab und ging ins Sekretariat, um Bescheid zu sagen, dass ich Kelly früher abholte. Von der Sekretärin erfuhr ich, dass zwei andere Kinder sowie Kellys und Emilys Lehrerin vorhätten, auch zu der Feier zu kommen.
Als Kelly ins Sekretariat kam, hielt sie einen kleinen Umschlag in der Hand. Sie sah mir nicht in die Augen, als sie ihn mir gab. Ich riss ihn auf und las die Mitteilung auf dem Weg zum Wagen.
»Was ist das?«, fragte ich. »Ist das von deiner Lehrerin?«
Kelly murmelte etwas, das entfernt wie ein Ja klang.
»Du bist einem anderen Kind auf den Fuß getreten? Schon wieder?«
Sie riss den Kopf herum und sah mich mit geröteten Augen an. »Geschieht ihm recht. Er hat ›Säuferkind‹ zu mir gesagt. Hast du schon eine neue Schule für mich gefunden?«
Ich legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie über den Parkplatz. »Fahren wir nach Hause und ziehen uns um.«
Ich stand im Schlafzimmer und nahm gerade den dritten Anlauf, meine Krawatte so zu binden, dass das breite Ende nicht kürzer ausfiel als das
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