Weil Ich Euch Liebte
schmale, da kam Kelly herein. Sie trug ein einfaches marineblaues Kleid – ihre Mutter hatte es bei Gap gekauft – und eine passende Strumpfhose.
»Kann ich so gehen?«, fragte sie.
Sie sah wunderschön aus. »Unbedingt.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.
»Na gut.« Schon war sie wieder weg. Gerade noch rechtzeitig, denn ich wollte nicht, dass sie mein Gesicht sah. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ihren Vater nach seiner Meinung zu ihrer Kleidung gefragt.
Das Bestattungsinstitut lag ganz in der Nähe des Stadtparks. Der Parkplatz war voll. Zwischen den anderen Autos standen mehrere Streifenwagen. Als wir über den Parkplatz gingen, nahm ich Kelly bei der Hand. Im Institut wies uns ein Mann in tadellosem schwarzem Anzug den Weg zum Empfangsraum für die Familie Slocum.
»Denk dran, bleib an meiner Seite«, flüsterte ich Kelly zu.
»Ich weiß schon.«
Kaum hatten wir den Raum betreten, in dem etwa dreißig Leute mit Kaffeetassen herumstanden und sich in gedämpftem Ton unterhielten, kam schon Emily, in schwarzem Kleid mit weißem Kragen, auf uns zugestürzt. Sie schlang die Arme um Kelly, und die beiden drückten sich, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen.
Alle beide brachen in Tränen aus.
Die Stimmen sanken zu einem kaum hörbaren Murmeln herab, als sich die Aufmerksamkeit der Gäste allmählich auf diese Mädchen richtete, die einander stützten und eine Verbundenheit zum Ausdruck brachten, die viele von uns bei so jungen Menschen wohl kaum vermutet hätten. Zwei Achtjährige vereint in Trauer, Mitgefühl und gegenseitigem Verständnis.
Mir ging es wahrscheinlich wie den meisten anderen. Ich war ergriffen. Doch ich konnte nicht mit ansehen, wie die beiden in aller Öffentlichkeit und doch so ganz allein dastanden. Ich kniete mich zu ihnen hin, legte jeder ganz leicht eine Hand auf den Rücken und sagte: »Hey.«
Eine der Frauen kniete sich auf der anderen Seite hin. Auf den ersten Blick sah sie aus wie Ann Slocum. Sie lächelte mir verlegen zu, eine Träne lief ihr über die Wange. »Ich bin Janice«, sagte sie. »Anns Schwester.«
»Glen«, sagte ich, nahm meine Hand von Kellys Rücken und streckte sie Janice hin.
»Ich besorge den Mädchen eine Erfrischung«, sagte sie. »Aber irgendwo, wo sie ungestört sind.«
Ich wollte Kelly eigentlich nicht aus den Augen lassen, doch in diesem Moment schien es mir am sinnvollsten, dass sie und Emily zusammenblieben. »Ja, gut«, sagte ich. Janice brachte die beiden, die die Arme umeinander gelegt hatten, hinaus. In einer Hinsicht war ich sogar froh darüber. Am anderen Ende des Saals stand nämlich der Sarg, und im Gegensatz zu dem meiner Frau war Ann Slocums Sarg offen. Ich wollte nicht, dass Kelly Emilys Mutter so sah. Ich wollte ihr nicht erklären müssen, warum man Anns Gesicht ansehen durfte und das ihrer Mutter nicht.
»Das war wirklich herzzerreißend«, sagte eine Frau hinter mir. Ich drehte mich um. Es war Belinda Morton. Neben ihr stand ihr Mann. »So etwas Trauriges habe in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
»Belinda«, sagte ich.
George Morton im schwarzen Anzug, weißen Hemd mit Umschlagmanschetten und mit roter Krawatte streckte mir die Hand hin. Ich nahm sie ein wenig widerwillig, denn anscheinend war er es gewesen, der seine Frau dazu gedrängt hatte, den Anwälten der Wilkinsons gegenüber aus dem Nähkästchen zu plaudern. »George«, sagte ich.
»Das ist alles so … ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagte Belinda. »Zuerst Sheila und jetzt Ann. Zwei meiner besten Freundinnen.«
Ich konnte mich nicht überwinden, ihr irgendetwas Tröstliches sagen. Dazu war ich zu sauer auf sie. Aber das war nicht der richtige Augenblick, mich darüber auszulassen.
»Wir müssen daran glauben, dass ein Sinn in allem liegt, was das Leben uns beschert«, sagte George in seiner gewohnten geschwollenen Ausdrucksweise. Ihm eins auf die Nase zu geben, darin könnte ich jetzt gerade noch einen Sinn erkennen. Er gebärdete sich immer, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen, redete von oben auf einen herab. Fraglos ein Kunststück – bei seiner Größe. Er war nämlich etliche Zentimeter kleiner als ich, und ich hatte einen guten Ausblick auf seinen tiefer gelegten Scheitel. Erstaunt registrierte ich, wie beunruhigt er wirkte. Seine Augen waren zwar nicht rot wie die seiner Frau, aber sie blickten besorgt und müde.
»Eine schreckliche Geschichte«, sagte er. »Was für ein Schock. Einfach
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