Weil sie sich liebten (German Edition)
arbeitet, muss
er mittags um eins da sein und ist spätestens abends um acht wieder zu Hause.
Du hast ihm das Abendessen in den Kühlschrank gestellt, oder in den Backofen,
und hin und wieder isst er es in deiner Gesellschaft vor dem Fernseher oder am
Küchentisch. Du stellst ihm Fragen, und er antwortet dir so gut er kann, aber
bei jedem Wort spürst du seine Ungeduld und seine Gereiztheit über die Fragen.
Trotzdem kannst du manchmal deine Neugier oder auch einfach deine eigene
Frustration nicht beherrschen und fragst, ob er in der Bücherei jemanden
kennengelernt hat, oder ob er sich vorstellen könnte, ein Studium zu beginnen,
oder was er am Wochenende vorhat.
Er scheint in der Bücherei nie einer einzigen Menschenseele zu
begegnen, er hat keine konkreten Pläne, was ein Studium angeht, und er denkt
nicht weit genug voraus, um sagen zu können, was er am Wochenende tun oder
lassen wird. Er behandelt dich nicht unhöflich oder respektlos. Darüber ist er
hinweg, er ist ja inzwischen auch älter und weiß, dass ihr nur mit Anstand
zusammenleben könnt, wenn so etwas wie ein Waffenstillstand eingehalten wird.
Du gehst um neun oder halb zehn zu Bett, liest noch eine halbe Stunde und
machst dann das Licht aus. Für Rob fängt der Tag da gerade erst an. Manchmal
hörst du ihn weggehen und fragst dich: Wohin geht er
eigentlich? Du weißt nichts von irgendwelchen Freunden, die er
vielleicht hat. Er kommt, sagt er, gegen halb fünf Uhr morgens nach Hause, eine
Stunde bevor du aufstehen musst.
Kaffeetassen, Müslischalen und Teller stapeln sich im Spülbecken.
Auf dem gelben Schwamm klebt irgendetwas Schwarzes. In einer Vase stehen Blumen
aus dem kleinen Garten neben dem Mehrfamilienhaus. Vor ein paar Tagen hast du
am Wochenende diese Blumen sorgfältig abgeschnitten und sie in die kurze,
quadratische Vase mit einem Blumenigel auf dem Boden gestellt. Der Strauß hat
dir gefallen. Ein frischer, fröhlicher Strauß, fandest du. Jetzt aber ist das
Wasser braun, die Blumen gehören in den Müll, da wirst du sie hinbringen, wenn
du deine zweite Tasse Kaffee getrunken hast. Auf dem Küchentisch liegen neben
einem kleinen Stapel Post von gestern und vorgestern mehrere Zeitschriften, aus
denen schon die Werbekarten herausgefallen sind, und zwei aufgerissene Hüllen
von Weight-Watchers-Karamellstangen. Die Zeitungen der letzten drei Tage
besetzen die Stühle und ein Ende des Tischs. Ein Stück Zeitung liegt vergessen auf
einer Kochplatte des Herds. Du wirst es mitnehmen, wenn du gleich vom Frühstück
aufstehst.
Arthur hat dich kurz nach Robs Schulausschluss verlassen. Es kam
überraschend und doch auch wieder nicht. Du hast gewusst, dass es kommen würde,
oder du hattest so eine Ahnung, dass es kommen könnte. Überraschend war, wie
schnell es ging. Als gäbe er dir die Schuld an dem ganzen Skandal. Du hast
gewusst, dass Arthur und Rob es
wahrscheinlich unmöglich finden würden, unter einem Dach miteinander zu leben;
aber du hast nicht gewusst, dass Arthur es auch unmöglich finden würde, mit dir
unter einem Dach zu leben.
Das Haus, in dem ihr alle zusammen gewohnt hattet, wurde bei der
Scheidung verkauft, und du hast dir diese Wohnung in der Nähe von Boston
gesucht, in einem Ort, an dem die meisten Leute nicht wissen, dass du und Rob
etwas mit den Ereignissen in Avery von vor zwei Jahren zu tun habt. Du hast
jetzt eine neue Anstellung, in der Schuhabteilung von Macy’s. Abgesehen vom
künstlichen Licht ist es gar kein so übler Job, obwohl die Pendelei mit den
öffentlichen Verkehrsmitteln, hauptsächlich der U-Bahn, anstrengend und
zeitraubend ist. Du versuchst, auf der Fahrt zu lesen, aber wenn die Luft
schlecht ist, wird dir von den ruckartigen Bewegungen rasch ein wenig übel. An solchen
Tagen machst du einfach die Augen zu und döst vor dich hin.
Arthur ist in eine Eigentumswohnung im South End von Boston gezogen.
Du warst nie dort, aber durch Rob, der ihn wie gerichtlich festgelegt
regelmäßig besucht, hast du den Eindruck gewonnen, dass es eine ziemlich
schicke Angelegenheit ist, mit unverputzten Backsteinmauern und einem Balkon.
Du fragst dich, wie Arthur sich nach der Scheidung eine Eigentumswohnung
leisten konnte, wenn das Geld wirklich zu gleichen Teilen geteilt wurde. Du
wolltest das von deinem Anwalt prüfen lassen, aber da du mit monatlichen
Unterhaltszahlungen von Arthur rechnest, die er streng genommen nicht zu
leisten braucht, da Rob inzwischen zwanzig ist, hieltest du es für klüger, das
bleiben zu
Weitere Kostenlose Bücher