Weil sie sich liebten (German Edition)
noch. Jedenfalls war sein Gesicht nass.
Nach ungefähr einer halben Minute sagte ich: »Hey, Mann, alles okay?« Er hob
den Kopf und schaute mich an. Den Blick werde ich nie vergessen. Eine oder zwei
Sekunden lang schien er mich gar nicht zu erkennen. Dann sagte er: »Verpiss
dich, Leicht.«
Das war alles. »Verpiss dich, Leicht.«
Ich ging, aber ich wusste nicht, was ich von der Sache halten
sollte. Ich glaube nicht, dass Silas schon mal so mit mir gesprochen hatte. Er
gehörte zu meinen besten Freunden. Ich grübelte darüber nach, was Silas in eine
solche Stimmung versetzt haben könnte. Entweder war er aus Gründen, von denen
ich nichts wusste, aus der Mannschaft genommen worden, oder seine Freundin
hatte mit ihm Schluss gemacht. Er war sonst eigentlich ein ziemlich stabiler
Typ. Um ihn aus der Fassung zu bringen, brauchte es einiges. Er war ganz anders
als J. Dot, bei dem die
Stimmung von einem Moment auf den anderen total umschlagen konnte. Ich machte
mir an diesem Morgen Gedanken wegen Silas, und rückblickend glaube ich, ich
hätte mit dem Coach sprechen sollen. Dann hätte der vielleicht mit Silas geredet
und ihn beruhigen können. Und zu alldem, was später passierte, wäre es
vielleicht nicht gekommen.
Sie haben sicherlich gehört, was an dem Tag beim Spiel los war. Die Presse hat ja x-mal darüber
berichtet. Ich weiß nicht, ob je eine plausible Erklärung dafür gefunden wurde,
warum Silas den Ball auf die Tribüne geworfen hat. Ich kann mir nur denken,
dass es mit dem Grund für sein Weinen in der Garderobe an jenem Morgen zu tun
hatte.
Eines weiß ich allerdings mit Gewissheit: Als wir vor dem Spiel zum
Aufwärmen aufs Feld gingen, roch Silas’ Atem nach Alkohol. Ich dachte, es wäre
vielleicht vom Abend vorher, dass er sich da betrunken hatte und der Alkohol
jetzt noch zu riechen war, aber sicher war ich natürlich nicht. Wahrscheinlich
hätte ich auch darüber mit dem Coach sprechen sollen, aber das wäre mir in dem
Moment wie Verpetzen vorgekommen. Er hätte auf die Bank gemusst. Ich verließ
mich einfach darauf, dass der Alkohol und was ihm sonst noch zu schaffen
machte, bis zum Spiel verflogen sein würden. Wie Sie wissen, kam es anders.
In der Garderobe war es still nach dem Spiel. Einmal kam J. Dot zu mir und sah mich nur an. Ich
wusste, was er fragen wollte, und zuckte mit den Schultern. Darauf sagte er:
»Ich finde, wir sollten ihn suchen.« Mich hat das erstaunt, weil J. Dot die anderen sonst ziemlich egal
waren. Ich vermute, das, was auf dem Spielfeld passierte, hatte doch einen
starken Eindruck bei ihm hinterlassen.
Zuerst aßen wir etwas (wir hatten einen Bärenhunger), schlangen
alles in einem Höllentempo hinunter und machten uns dann auf die Suche. Wir
waren ziemlich sicher, dass es irgendwie um Noelle ging, aber wir wollten sie
nicht selbst ansprechen, weil wir dachten, es ginge ihr wahrscheinlich auch
nicht gut. Keiner von uns konnte sich erinnern, ob sie beim Spiel gewesen war.
J. Dot versuchte, mit seinem
Handy ihre Zimmergenossin anzurufen, aber die meldete sich nicht. Als ich bei
Silas zu Hause anrief, sagte sein Vater, er sei noch nicht wieder da. Ich
fragte, ob er gesehen habe, was beim Spiel vorgefallen war, und darauf sagte er,
nein, er sei nicht dort gewesen. Das Merkwürdige war, dass er mich gar nicht
fragte, was denn beim Spiel vorgefallen sei. Er wollte nicht einmal das
Endergebnis wissen. Danach fragte ich mich, ob nicht bei Silas zu Hause etwas
passiert war, das ihn so mitgenommen hatte.
Wir fanden Silas auf dem Parkplatz bei der Turnhalle in seinem Auto.
Er sah total fertig aus. Draußen war es eiskalt, und er hatte den Motor nicht
laufen lassen, weil er nicht auf sich aufmerksam machen wollte. Als J. Dot die Tür öffnete, starrte Silas
ihn nur an. Er war betrunken. Und zwar richtig. Sobald er J. Dot sah, fing er an wie ein Irrer
zu lachen, kein Mensch wusste, worüber. J. Dot
zerrte ihn aus dem Wagen, nahm ihm die Schlüssel ab und sperrte das Auto zu. Er
steckte die Schlüssel selber ein, weil er nicht wollte, dass Silas sich in
diesem Zustand womöglich ans Steuer setzte. »Jetzt bringen wir dich erst mal
rein«, sagte er.
Und man könnte sagen, dass damit die Party begann.
Um acht Uhr war J. Dots
Zimmer voller Leute, die es darauf anlegten, sich volllaufen zu lassen. J. Dot hatte den Alkohol schon
irgendwann Anfang der Woche bei einem Externen zu Hause eingekauft, für irgendeine
Party, aus der dann nichts geworden war. Er hatte das Zeug in Jamails
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