Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
betrunken also
sonst? Oder war er einfach notgeil? Sah er an dem Abend vielleicht etwas in
ihr, das ihm vorher entgangen war? Sie war wirklich attraktiv, das kann keiner
bestreiten. Sie war einfach scharf . Ich weiß nicht,
wie ich es sonst beschreiben soll. Sie hatte ein rundes Gesicht mit einem hübschen
Lächeln. Sehr schöne grüne Augen. Sie hatte dicke blonde Haare, die sie an dem
Abend zurückgesteckt hatte, das ließ sie älter und erfahrener wirken. Sie war
klein und zierlich und trug sehr hohe Absätze, dadurch unterschied sie sich von
den anderen Mädchen. Es gibt kaum Mädchen, die im Januar in Vermont hochhackige
Schuhe tragen. Sie hatte eine tolle Figur. Manchmal wache ich sogar heute noch
auf und stelle fest, dass ich von ihr geträumt habe, aber der Traum ist immer
ein Albtraum, und manchmal bin ich schweißgebadet.
    Ich merkte plötzlich, dass Silas, der neben mir stand, sich zur
Tanzfläche durchdrängte. Er machte so komische Tanzbewegungen, als wollte er
sich einfach in den Tanz von J. Dot
und Sienna dazudrängen. Er war zwar ein sportlicher, flinker Typ, aber er
bewegte sich ein wenig wie ein tollpatschiger Bär, und einen guten Tänzer hätte
man ihn beim besten Willen nicht nennen können. Ich begann, ihn auszulachen.
Ich war zu dem Zeitpunkt selbst schon ganz schön dicht. Bei J. Dot im Zimmer hatte ich Bacardi pur
getrunken. Ich hatte schon früher mit Bacardi experimentiert und wusste, wie
schnell das Zeug einen betrunken machen kann, aber ich hatte einfach Lust dazu.
Mir war  an dem Abend alles egal. Es war
so ein Abend, an dem es keine Grenzen gab, das zeigte sich schon in der
Kantine. Daran, wie Silas und J. Dot
mit Sienna tanzten. Sienna war richtig aufreizend und kam sich vor wie die
Größte, weil gleich zwei Schulstars ihr zu Füßen lagen. Bildete sie sich
jedenfalls ein. J. Dot hatte
so ein fieses kleines Grinsen im Gesicht, an dem konnte man merken, dass er sie
halb verarschte. Oder vielleicht hatte er auch seine eigenen geheimen Pläne,
und sie kriegte nichts davon mit. Sie glaubte, es ginge nur um sie. Das sah man
schon daran, wie sie sich bewegte. Immer noch ein bisschen herausfordernder. Es
war sehr sexy. Und man wusste genau, wenn sie in einem privaten Raum gewesen
wäre, hätte sie sich jetzt ausgezogen. Das mag sich nach reiner Männerphantasie
anhören, aber genau so war’s.
    Silas, der arme Kerl, ich glaube, der wusste gar nicht, mit wem er
tanzte und wo er überhaupt war. Der war total weggetreten. So irre wie er lachte,
hatte man das Gefühl, dass er gleich komplett austicken würde.
    Ich schob mich langsam zur Mitte des Saals. Oben an der Decke war
ein Stroboskop und auf den Tischen brannten Kerzen. Insgesamt war es ziemlich
finster. Ich tanzte  so hemmungslos wie
die anderen und hatte einen Riesenspaß dabei. Es war ungefähr so, als haute man
von der Schule ab, ohne erwischt zu werden. Die paar Minuten lang war es ganz
großartig. Und wenn es bei den paar Minuten geblieben wäre, hätten wir am
nächsten Morgen darüber lachen können, und das wär’s gewesen. Ich bin ein
erbärmlicher Tänzer, und der Himmel weiß, wie ich an dem Abend ausgesehen habe.
Aber es war mir egal. Irgendwann erreicht man diesen Punkt, man weiß genau,
dass man sich öffentlich zum Idioten macht, aber alle lachen, und man findet es
ganz okay. Mehr als okay. Es kommt einem vor, als hätte man sich nie vorher im
Leben so göttlich amüsiert.
    Ich weiß allerdings noch, dass ich mich darüber wunderte, dass Mr. Coggeshall, der an dem Abend
Aufsicht hatte, nicht dazwischenfunkte und die Party beendete oder wenigstens
eine andere Musik auflegte oder so etwas, denn allmählich roch das Ganze ein
bisschen zu sehr nach Herr der Fliegen . Inzwischen
tanzten fünf  Typen mit einem Mädchen, es
hatte etwas von einem Stammesritual, etwas Primitives. Von Zeit zu Zeit tanzten
sicher auch andere Mädchen mit, aber an die erinnere ich mich kaum. Wir waren
alle in einer Mannschaft, hatten Stunden und Stunden zusammengegluckt, und nun
ließen wir einmal so richtig die Sau raus. Ich erwartete, dass Mr. Coggeshall herüberkommen und die
Sache abbrechen würde, obwohl ich wusste, dass das alles nur harmloser Spaß
war, oder mir das zumindest einredete. Irgendwie spürte ich, dass wir dabei
waren, eine Grenze zu überschreiten, aber da niemand kam und uns aufhielt, wurde
die Grenze immer elastischer. Manchmal tanzten wir zu fünft mit ihr, manchmal
waren es zwei, manchmal auch nur einer, während die anderen

Weitere Kostenlose Bücher