Weil sie sich liebten (German Edition)
Du weißt
ja nichts über die Beziehungen zwischen Stadt und Schule. Es schien dir vorher
nie wichtig.
»Mein Sohn und ich«, beginnst du noch einmal, »brauchen ein Zimmer.«
»Wie viele Nächte?«, fragt der Mann.
Das weißt du nicht genau. Bis zum Freitag, wenn der
Disziplinarausschuss zusammentritt? Darf dein Sohn der Schule so lange
fernbleiben? Wirst du ihn morgen in sein Wohnheim zurückbringen? Die Geschichte
mit dem Band wird doch inzwischen in der ganzen Schule bekannt sein? Plötzliche
Panik erfasst dich, und unwillkürlich drückst du deine Handtasche fest auf
deinen Bauch.
»Zwei Nächte«, antwortest du, obwohl du dir nicht vorstellen kannst,
zwei Nächte im selben Raum mit deinem Sohn zu verbringen, der sich weigert, mit
dir zu sprechen oder dich auch nur anzusehen.
Der Mann, der vielleicht gern weiteressen möchte, nennt einen
Betrag. Du erklärst, dass du ein Zwei-Bett-Zimmer brauchst. Der Mann äußert
sich nicht dazu. Du überlegst, ob du es noch einmal sagen sollst. Er verlangt
einen Ausweis, du unterschreibst und bekommst eine Schlüsselkarte in einem
Umschlag, auf dem die Zimmernummer steht.
»Wissen Sie ein Lokal, in dem man gut essen kann?«, fragst du, und
während er antwortet, stellst du dir vor, wie dein Sohn dir irgendwo an einem
anderen Resopaltisch gegenübersitzt und beharrlich deinem Blick ausweicht. »Wie
sieht es mit Pizza aus?«, fragst du. Pizza auf dem Zimmer wäre wahrscheinlich
erträglicher, auch wenn du dir im Moment nicht vorstellen kannst, überhaupt
etwas zu essen.
Du gehst zurück zum Wagen und fährst auf den Parkplatz, der zum
Zimmer gehört. Du nimmst die Handtasche mit, als du aussteigst, und sperrst das
Zimmer auf. Rob steht hinter dir, einen Rucksack über der Schulter, die Hände
in den Taschen seines Sweatshirts. Er verhält sich etwa so, wie man es sich bei
einem Häftling vorstellen könnte. Folgt nur, wo es absolut nötig ist.
Im Zimmer stehen zwei schmale Betten, jedes mit einer Steppdecke in
dunklem Paisleymuster. Du versuchst, die Lampe zwischen den beiden Betten anzuknipsen,
aber sie funktioniert nicht. Dein Sohn schaltet die Deckenbeleuchtung ein und
wirft besitzergreifend seinen Rucksack auf eines der Betten. Er geht sofort ins
Badezimmer. Es gibt keinen Schrank im Zimmer, nur eine Stange mit
Kleiderbügeln, über der man einen karierten Vorhang zuziehen kann. Du hängst
deinen Mantel auf. Du willst jetzt deinen Mann nicht anrufen.
Als dein Sohn wieder aus dem Bad kommt, stellt er seinen Rucksack zu
Boden und legt sich aufs Bett, alle Glieder von sich gestreckt wie ein Toter.
Er trägt seine Chinos jetzt etwas lockerer, du kannst ein Stück seiner
Boxershorts erkennen. Er wirft einen Arm über seine Augen, sodass er nichts
sehen kann, nicht dich, nicht die Decke, nicht die Zukunft. Du gehst ins Bad,
wäschst dir die Hände und trocknest sie an dem dünnen Handtuch, das an einem
Halter über der Toilette hängt. Du hast seit Jahren keine Nacht allein mit
deinem Sohn in einem Motelzimmer verbracht. Auf Urlaubsreisen nimmt Rob
gewöhnlich einen Freund mit, und die Jungen haben dann ein Zimmer neben dem,
das du mit deinem Mann bewohnst.
Arthur.
Der angerufen werden sollte.
Du hast seit deiner Kindheit nicht mehr in so einem Motelzimmer
übernachtet – trotzdem kommt es dir ganz vertraut vor. Du hättest es
beschreiben können, bevor du die Tür geöffnet hast, hättest sogar das Gewebe
des dünnen Handtuchs beschreiben können. Zurück im Zimmer setzt du dich auf die
Bettkante, die deinem Sohn am nächsten ist.
»Ist es wahr?«, fragst du.
Es könnte ja sein, dass es nicht wahr ist. Es könnte ja ein riesiges
Missverständnis sein. Du könntest fragen: Warum ?
Könnte er das Warum in Worte fassen? Könnte er es
sagen?
Du beißt die Zähne zusammen. Du weißt instinktiv, wenn du jetzt zu
weinen anfängst, ist alles verloren.
Du kramst das Handy aus deiner Tasche und rufst deinen Mann an.
Noelle
I m November fahren Silas und ich zu einer
Party. Es sind Externe da und Interne. Silas trinkt etwas, und ich auch. Wir
tanzen. Ich habe ihn vorher noch nie tanzen sehen. Obwohl er sich auf dem
Basketballfeld so anmutig und geschmeidig bewegt wie eine Katze, ist er ein
schlechter Tänzer, und ich lache ihn aus. Er lacht mit mir, und wir tanzen
weiter. Ich merke, dass die anderen uns beobachten. Noelle
und Silas , denken sie. Wir sind ein Paar. Es kommt mir vor, als stellten
wir etwas Kostbares, das uns gehört, zur Schau. Silas spürt es, und ich
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