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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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überziehen, weil mein guter Mantel
zu Hause in Boston im Schrank hängt. Ich bürste mir die Haare und stutze die
Stirnfransen, und dann beschließe ich, auf den Seiten einen Razor Cut zu
versuchen, aber das geht schief, also lasse ich es lieber.
    Ich treffe mich im Gemeinschaftsraum mit Silas. Er trägt ein
marineblaues Sportsakko zu blauem Hemd und Khakihose. Darüber hat er einen
Mantel an wie ein erwachsener Mann ihn tragen würde, und er sieht so toll und
sexy aus, dass ich mich kaum zurückhalten kann. Im Gemeinschaftsraum sitzen ein
paar Leute, die sich Wiederholungen von Die Simpsons anschauen. Sie starren uns an, als dächten sie, wir gingen zu einer Beerdigung.
    Der nasse Schnee durchweicht meine Ballerinas noch bevor ich im Auto
sitze. Meine Füße werden knallrot vor Kälte. Silas bittet um Entschuldigung dafür,
dass die Heizung im Auto so erbärmlich ist. Er greift nach hinten und gibt mir
eine Decke für meine Füße.
    Im Restaurant nimmt uns ein Mann unsere Garderobe ab. Silas zupft an
den Manschetten seines Hemdes. Ich ziehe meinen Rock gerade, der Reißverschluss
hinten muss genau in der Mitte sitzen. Meine Füße sind immer noch rot
angelaufen. Silas bittet um einen Tisch beim offenen Kamin. Vielleicht findet
der Kellner Silas nett, jedenfalls bekommen wir einen guten Tisch direkt vor
dem Feuer. Das Restaurant ist klein und teuer, aber selbst bei der dämmrigen
Beleuchtung kann ich die Klammern erkennen, mit denen der Vorhang an die Wand
getackert ist, und die Elektrokabel, die an der Fußbodenleiste entlanglaufen.
Am einen Ende des Speiseraums ist eine Bar, die wie ein englisches Pub
aussieht. Ich bestelle mir eine Cola Light und Silas nimmt Wasser. Noch ehe wir
in die Speisekarte geschaut haben, zieht Silas aus der Innentasche seines
Sakkos ein kleines, mit blauem Samt überzogenes Kästchen heraus. In der ersten
Schrecksekunde vermute ich, er will mir einen Heiratsantrag machen. Vielleicht
habe ich sogar hörbar nach Luft geschnappt, denn der Barkeeper sieht zu uns
herüber. Silas stellt das Kästchen vor mir auf den Tisch.
    »Ich hatte kein Geschenkpapier«, sagt er.
    Ich habe ein bisschen Angst, als ich das Kästchen öffne, aber dann
atme ich erleichtert auf. Zwei kleine Ohrstecker auf weißem Satin blitzen mir
entgegen. Jedes trägt einen Zirkon, meinen Geburtsstein. Manche Leute würden so
ein Geschenk vielleicht kitschig finden, aber ich komme mir wunderschön vor mit
den funkelnden Steckern in den Ohren.
    Über die Weihnachtsferien fahre ich nach Hause, aber obwohl ich
gern bei meiner Familie bin, habe ich Heimweh nach Silas. So ist das
wahrscheinlich, sage ich mir, wenn man jemanden liebt. Dann ist man bei dem
Jungen zu Hause, und bei den Eltern nur zu Besuch .
Ich habe solches Heimweh, dass ich einen Tag früher zurück ins Internat fahre.
Das dürfen wir, wenn wir zu einer Sportmannschaft gehören oder die Übungsräume
brauchen. Ich schicke Silas eine SMS, dass ich wieder da bin, und er kommt
sofort. Wir gehen direkt in mein Zimmer im Wohnheim, obwohl das ein ernster Verstoß
gegen die Schulvorschriften ist. Die Hausmutter hört hinten in ihrem Zimmer
laut Musik. Ich weiß, dass sie verärgert ist, weil sie meinetwegen einen Tag
früher zurückkommen musste, wahrscheinlich, denke ich mir, ist sie der Ansicht,
sie wäre noch im Urlaub.
    Silas und ich lassen uns aufs Bett fallen und fangen an, uns zu
küssen. Wir durchschreiten viele Räume an diesem Nachmittag.

Mike
    M ike saß am Schreibtisch in seinem
Glaskasten auf dem Dach des Gasthofs. Er wollte dem nächsten Teil seiner
Geschichte – dem von Anna und ihm – unbedingt gerecht werden, aber über die
Liebe zu schreiben, war nicht leicht. Ganz gleich, wie er es drehte und
wendete, immer stieß er auf Klischees und Phrasen, die so abgedroschen waren,
dass sie jegliche Bedeutung verloren hatten. Und Sex zu beschreiben, war auch
nicht einfach. War es nicht genug, überlegte er, sich zu erinnern, ohne die
Erinnerungen zu Papier bringen zu wollen? Nein, nein, gerade das Sexuelle war
von Bedeutung in dieser Geschichte, für ihn vielleicht das Bedeutsamste
überhaupt, und in diesem Punkt flüchtig zu sein, erschien ihm wie eine Art
moralischer Trägheit. Der Preis war sehr hoch gewesen, und wenn er rückhaltlos
ehrlich sein wollte, was er fest vorhatte, musste er zugeben, dass diese
Affäre, so kurz und heiß wie sie gewesen war, vieles, was folgte, mitverursacht
hatte.
    Aber er brauchte eine Pause. Er musste eine paar Minuten oder

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