Weil wir glücklich waren - Roman
gesehnt, der immun gegen diese Versuche war, nach einem Namen mit Gewicht und Würde, bei dem die Leute nicht an ein Tier dachten, das in dieselbe biologische Familie wie Iltis, Dachs und Wiesel gehörte. All das und noch viel mehr hatte sie bekommen, als sie sich im Alter von einundzwanzig Jahren in Dan von Holten verliebte.
»Warum nicht einfach ein ganz neuer Name?«, hatte sie Elise gefragt, obwohl sie sich die Frage eigentlich selber stellte. Die Idee stammte von Maxine. Maxine arbeitete in der Kosmetikabteilung. Sie war fast siebzig und sprach mit den jüngeren Angestellten in demselben freundlich-autoritären Tonfall, den sie auch wählte, wenn sie ihren Kundinnen empfahl, nicht zu viel Rouge zu verwenden. »Nimm etwas, was dir gefällt«, hatte Maxine mit erhobenen Händen und ausgestreckten Fingern gesagt. Ihre langen, lackierten Nägel sahen dabei wie Krallen aus. »Es ist dein Name, Schätzchen. Es ist dein Leben. Du weißt, was ich damit sagen will? Irgendwann musst du dir die Frage stellen: Warum sollen immer andere für mich bestimmen?«
Eine gute Frage, fand Natalie und fing an, intensiv über den idealen Namen nachzudenken. Dieser Gedanke, einen Neustart zu wagen, etwas auszusuchen, was ihr einfach gefiel, oder sich einen Namen auszudenken, gab ihr Auftrieb. Und dann hatte Elise angerufen. Nur um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen, war Natalie so dumm oder auch naiv gewesen, ein paar dieser Namen ihrer stets so vernünftigen und ausgeglichenen älteren Tochter mitzuteilen - alles in dem missglückten Versuch, munter und vergnügt zu klingen. »Natalie Nevermore?«, hatte sie Elise mit einem kleinen Lachen gefragt, obwohl sie es eigentlich nicht komisch fand. »Natalie Northtrup?« Sie hatte schon immer eine Vorliebe für Alliterationen gehabt. »Natalie Nouvelle? Natalie Valentino. Natalie Wood!« Ein bisschen pietätlos vielleicht, aber was für ein Aufhänger für ein Gespräch!
Elise wurde ganz still. Dann warf sie ihrer Mutter vor, dass ihr Benehmen verrückt sei. Sie sagte, dass vor ihr auf der Straße ein Unfall passiert sei, Verkehrschaos, und sie jetzt auflegen müsse.
Nun saß Natalie in ihrer Wohnung auf dem Fußboden und schaute sich die Nachrichten an - ohne Ton. So konnte sie ganz und gar dem Gedanken nachhängen, wie unfair es war, dass sie die besten Jahre ihres Lebens damit verbracht hatte, ihre Lebenserfahrung und ihre Erkenntnisse an ihre Töchter weiterzugeben, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen und zu fördern, nur um dann zu erleben, wie eine dieser Töchter erwachsen wurde und an einem sehr schlimmen Tag plötzlich entschied, dass ihre Mutter bescheuert war - oder sich bescheuert benahm, was auch immer. Natalie fixierte mit zusammengekniffenen Augen das Telefon. Wahrscheinlich rief Elise jetzt gerade Veronica an, um ihr das Neueste über den Abstieg ihrer Mutter mitzuteilen. Sie würde alles völlig aus dem Zusammenhang gerissen darstellen.
Das Problem beim Telefonieren war - so empfand sie es -, dass man das Gesicht oder die Umgebung des Gesprächspartners nicht sehen konnte. Man konnte nicht wissen, in welcher Situation man den anderen vorfand, wenn man aus Kalifornien anrief und nur kurz Hallo sagen wollte. Zum Beispiel konnte Elise unmöglich ahnen, dass ihre Mutter, kurz bevor das Telefon klingelte, folgenden Zettel an der Wohnungstür vorgefunden hatte:
KEINE HUNDE HEISST KEINE HUNDE. ENTWEDER ER IST MORGEN WEG ODER SIE SIND ES.
Lou
Genauso wenig konnte Elise - die nur anrief, wenn sie Auto fuhr, ihr Headset griffbereit und ihren frisch verheirateten Körper in einen der extra angefertigten Ledersitze ihres limonengrünen Volkswagens geschmiegt - wissen, dass ihre Mutter während ihres Gesprächs auf dem Boden ihres Apartments gelegen hatte, ungefähr dort, wo eine Couch hätte stehen sollen.
Es war nicht so, dass sie keine Möbel gehabt hätte. Auf der anderen Seite des Wohnzimmers stand der Ledersessel, den sie vor genau drei Jahren bei Pottery Barn mit fünfzehn Prozent Ermäßigung gekauft hatte. Damals hatte sie Dan davon überzeugt, dass sie einen neuen Sessel fürs Wohnzimmer brauchten - sie mussten den gepolsterten Lehnstuhl loswerden, den sie seit über zehn Jahren hatten und der immer noch dicke rote Streifen auf der Sitzfläche hatte: Veronica hatte sich, als sie drei war, mit einem von Elises Filzstiften darüber hergemacht. Dan war einverstanden gewesen, und Natalie hatte einen neuen Sessel gekauft. Sie brauchten einen, und sie
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