Weine ruhig
Petroleumlampe in der Hand öffnete uns. Ich konnte erkennen, dass er jung war. Seine Kleidung war aus grobem Tuch, und er hatte eine besonders große Jarmulke auf dem Kopf, Er wusste über uns Bescheid, weil die Frau zuvor bei ihm gewesen war; denn selbst eine einfache christliche Frau wie sie wusste, dass Juden verpflichtet sind, einander in der Not zu helfen.
Der Mann bat uns herein. Das Haus bestand aus einem einzigen großen Raum mit einer niedrigen Holzdecke. Die Betten standen an der Wand, und in der Mitte des Raums befand sich ein einfacher Holztisch mit klobigen Stühlen. Es gab einen Küchenbereich mit zwei großen Herdplatten und einem Abzugsrohr, das mit dem Schornstein verbunden war.
Der Mann sah uns mit unverhohlener Neugier an und lächelte dann, als ob er uns sagen wollte, dass wir ihm vertrauen könnten. Er stellte sich und seine junge Frau vor, betonte, dass sie Juden seien - so dass klar war, dass wir nichts zu befürchten hatten. Als sie von der Bauersfrau erfahren hatten, dass wir in Schwierigkeiten waren, hatten sie sich spontan bereit erklärt, uns bei sich aufzunehmen. Ich sah mich abermals um, und in einer Ecke des Zimmers entdeckte ich eine Wiege. Darin lag ein Säugling, der plötzlich zu schreien anfing. Wir waren alle etwas verlegen. Schließlich versuchte die Frau, uns zu trösten, sie streichelte uns die Köpfe und bot uns Brot mit Butter und Käse und etwas Milch an. Als die Bäuerin sah, dass die Juden uns unter ihre Fittiche genommen hatten und sie uns loswerden konnte, schickte sie sich zum Gehen an. Als sie zur Tür ging, fragte ich sie, warum sie unsere Päckchen mit den neuen Kleidern nicht mitgebracht habe. Sie antwortete, dass sie uns auf dem Weg hierher nicht zusätzlich habe belasten wollen. Sie würde die Päckchen unseren Eltern bei der nächstbesten Gelegenheit zurückgeben.
Nachdem die Bäuerin gegangen war, hatten wir eine seltsame Unterhaltung mit dem jungen Paar. Sie verstanden nicht, warum wir in ihr Dorf gekommen waren, so weit weg von unserem Zuhause, ohne unsere Eltern. Warum hatte man uns fortgeschickt, und warum wollten unsere Eltern, dass wir illegal über die Grenze nach Ungarn gingen? Ich war sehr erstaunt über ihre Fragen - unsere Eltern waren ja um uns besorgt und wollten uns davor bewahren, deportiert zu werden.
Wir merkten bald, dass unsere jungen Gastgeber in einer Art Luftblase lebten und nichts von dem Unheil wussten, das die Juden in weiten Teilen Europas und auch in der Slowakei heimsuchte. Sie hatten Gerüchte gehört über verschiedene Vorschriften und Verbote - etwa dass Juden gezwungen seien, einen gelben Stern zu tragen - und über die Mobilisierung junger Männer und Frauen, die angeblich zur Unterstützung der Armee oder zur Arbeit herangezogen wurden. Aber sie hatten keine genaue Vorstellung von den gegen die Juden gerichteten Maßnahmen der slowakischen Regierung. Sie hat-teil nichts von den Deportationen in den benachbarten Distrikten gehört. Als ich ihnen erzählte, dass man inzwischen ganze Familien abhole, mit dem Versprechen, sie mit der ersten Gruppe der Deportierten zusammenzuführen, weigerten nie sich, das zu glauben. Es gab weder Telefon noch Radio in diesem abgelegenen Dorf, und sie hatten keinerlei Kenntnis von dem, was in der Welt vor sich ging.
Die Frau starrte uns ungläubig an, so als hätten wir uns diese schreckliche Geschichte nur ausgedacht, und sagte: »Ich glaube nicht, dass man uns aus unserem Haus vertreibt und uns mit dem Baby an einen unbekannten Ort schickt. Das kann einfach nicht sein! Die Dorfbewohner sind gute Nachbarn, und sie werden nicht zulassen, dass uns etwas Derarti-ges widerfährt. Wir sind hier geboren, das ist unsere Heimat!«
Wie naiv sie war. Es gab in der ganzen Slowakei kein Dorf, in dem die Christen ein einziges Mal aufgeschrien oder Widerstand gegen das brutale Vorgehen der Gardisten geleistet hättten; nur sehr wenige Slowaken halfen verfolgten Juden.
Die beiden versuchten, uns zu trösten. Sie drängten uns, zu essen und zu trinken, überließen uns ihr Bett und deckten uns zu. Ihre Ruhe und Warmherzigkeit taten uns unglaublich gut, und ich habe sie nie vergessen. Wir waren so müde, dass wir nicht einmal die Kleider ablegten. Wir zogen die Schuhe aus und schliefen fast sofort ein, hielten uns umarmt und fühlten uns besser, getragen von der Hoffnung, dass wir am nächsten Tag wieder nach Hause zurückkehren würden.
Frühmorgens, es war noch dunkel, weckte uns die junge Frau. Sie
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