Weine ruhig
anzuhören. Der Ausrufer entrollte ein Schriftstück und las die neuen Verordnungen vor. Es nutzte nichts zu behaupten, dass man eine bestimmte Vorschrift nicht habe befolgen können, weil man sie nicht gekannt habe; eine vom Ausrufer verkündete Vorschrift war für alle verbindlich, so als hätte man sie persönlich in die Hand gedrückt bekommen.
An einem Frühlingstag im Jahre 1942 rief uns der Trommelwirbel zum Rathausplatz. Zitternd erfuhren wir das, was wir schon ahnten: Die Umsiedlung in den Osten würde in zwei Wochen beginnen. Alle Juden hätten sich darauf vorzubereiten, einschließlich der Familien mit kleinen Kindern, und sogar Kranke, Behinderte und Alte. Jeder habe Wasser und Verpflegung für drei Tage mitzunehmen und das Nötigste an Kleidung. Es gab eine Obergrenze für das Gewicht von Koffern, Taschen und Rucksäcken.
Sofort gerieten die anwesenden Juden in helle Aufregung. Um sie zu beruhigen, wurde ihnen zugesichert, dass nach ihrem Weggang die Schlösser ihrer Wohnungen zum Schutz vor Einbrüchen mit Wachs versiegelt und die Häuser bewacht würden, bis sie nach dem Krieg wiederkämen. Jeder, der die Wohnungen ohne Erlaubnis betrat, sollte schwer bestraft werden. Die Umsiedlung sei vorübergehend, wurde uns gesagt, und solle die Familien wieder zusammenführen, deren Männer zur Verstärkung der Armee weggeschickt worden waren. Auch die Frauen seien in der Lage, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen.
Die meisten Familien waren einverstanden: Die Frauen und Kinder hofften, ihre Angehörigen wiederzusehen. Die Naivität und das Vertrauen in die Versprechen der Behörden waren der Tatsache geschuldet, dass die meisten jüdischen Familien niemanden mehr hatten, der für sie sorgte. Das Bedürfnis, zu ihren Lieben zu kommen, ließ sie die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Behörden ignorieren. Dennoch waren manche Juden misstrauisch und beschlossen, sich nicht, wie befohlen, zu melden, sondern abzuwarten.
Die Deportationen ganzer Familien begannen am Dienstag, dem 5. Mai 1942. Am Vortag trafen Busse mit Einheiten der Hlinka-Garde ein. Diese brutalen Männer mit ihren schwarzen Uniformen und glänzenden Schaftstiefeln wurden aus dem Westen des Landes geholt - vielleicht weil die slowakische Regierung befürchtete, dass die örtlichen Beamten ein weiches Herz und Mitleid mit ihren jüdischen Mitbürgern, von denen sie viele persönlich kannten, haben könnten. Die Soldaten schwärmten in die Stadt aus, versperrten die Ausgänge und begannen in der Nacht, die Familien aus ihren Häusern zu holen. Gemeinsam mit der örtlichen Polizei trieben sie die Juden in Schulen zusammen und marschierten anschließend mit ihnen zum Bahnhof. Dort pferchten sie sie in Viehwagons, und die Züge fuhren sofort ab.
Panik ergriff die Gemeinde. Auch in unserem Hof machten geflüsterte, bruchstückhafte Berichte über die Deportationen, die in der Nacht begonnen hatten, die Runde. Vater wagte sich nicht mehr aus dem Haus, aber er und Mutter dachten, dass ein kleines Mädchen sich auf die Straße trauen könnte, ohne Verdacht zu erregen. Deshalb schickten sie meine Schwester Rachel zu Onkel und Tante, die nur ein paar
Straßen weiter wohnten. Sie sollte nach ihnen sehen und sie nach ihren Plänen befragen.
Rachel kam bald verängstigt zurück. Sie sagte, dass sie die Wohnung versiegelt vorgefunden habe. Aus dieser Straße hatte man die Juden bereits abgeholt, darunter meinen Onkel und seine Familie.
Die Massendeportationen, bei denen die jüdischen Einwohner aus jedem Haus und jedem Versteck geholt wurden, hielten drei Tage und drei Nächte an. Doch selbst in dieser schrecklichen Zeit erhielten Leute mit Geld und guten Beziehungen noch besondere Genehmigungen, die es ihnen ermöglichten zu bleiben.
Die Soldaten waren bösartig. Sie verschonten weder die Alten noch die ganz Jungen und benahmen sich wie wilde Tiere. Einige Juden mussten drei Tage in den Schulen ausharren, bis man sie in Güterwagons pferchte und in die Gegend von Lublin in Ostpolen verbrachte. Nicht lange danach erreichten uns Postkarten von ihnen, die eindeutige Hinweise auf Tötungen und Hungertod enthielten.
Wir verbrachten diese entsetzlichen Tage verängstigt auf dem Dachboden, auf den wir geflohen waren, als wir die Schreie auf der Straße hörten. Dann bekam Vater noch einmal einen Ausweis, der ihm bescheinigte, dass er ein für die Wirtschaft des Landes »unentbehrlicher Jude« sei, so dass wir unser Versteck wieder verlassen konnten.
Trotz
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