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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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drei Tage dort zu bleiben, bis die Menschenjagd vorüber war.
    Wir legten uns auf Strohmatratzen, die wir zuvor dort hingebracht hatten, und versuchten zu schlafen. Wir lagen in einer Reihe, Seite an Seite. Ich hörte die Seufzer und die schweren Atemzüge der anderen, und das Getrippel von Mäusen, die über den Boden huschten. Aber wir Kinder schliefen fast sofort ein. Am nächsten Tag sagte man uns, wir müssten leise sein, und so flüsterten wir. Die Männer beteten, die Frauen unterhielten sich leise, und wir Kinder versuchten zu verstehen, was sie sagten. Hin und wieder stellten wir uns auf die Zehenspitzen und spähten durch die Dachritzen in unseren Hof.
    Plötzlich sahen wir Polizisten in den Hof eindringen. Sie gingen von Tür zu Tür und versiegelten die Schlösser anschließend mit Wachs - die Wohnungen waren jetzt frei und Eigentum der Stadt. Einige Familien unserer Hofgemeinschaft waren in ihren Wohnungen geblieben und wurden nun deportiert. Die Familie des Vermieters, der ein Lösegeld zahlte und die Erlaubnis erhielt, in seiner Wohnung zu bleiben, blieb zusammen mit ein paar anderen privilegierten Familien im Hof wohnen.
    Wir informierten die Vorsitzenden der Gemeinde über unser Versteck, und sie organisierten »Boten«, die uns nach Einbruch der Dunkelheit Verpflegung brachten. Diese Mission wurde meistens Jugendlichen anvertraut, einige von ihnen waren Mitschüler von mir.
    Es war unmöglich, sich zu waschen oder die Kleidung zu wechseln. Wir erleichterten uns über Eimern, und jeder drehte den Kopf weg, bis die betreffende Person signalisierte, dass sie fertig war. Natürlich sahen wir Kinder hin und wieder heimlich hin.
    Manchmal stank es fürchterlich, weil wir die Eimer nur leeren konnten, wenn die »Boten« uns unser Essen brachten, und die Eimer wurden ungespült und immer noch stinkend zurückgebracht. Nach den ersten paar Tagen wurden wir unruhig, und wir verzweifelten beinahe am endlosen Warten.
    Man konnte nur in der Mitte des Raums aufrecht stehen, wo die beiden Schrägen sich im spitzen Winkel trafen. Deshalb verbrachten wir die meiste Zeit im Sitzen, oder wir lagen auf den Strohmatratzen. Wir erzählten uns Geschichten, wir erfanden Spiele, wir alberten herum und spielten Streiche. Wir kugelten uns vor Lachen über all die Geräusche, die der ältere Junge nachahmen konnte. Unsere Eltern schätzten diese Art von »Unterhaltung« nicht und schimpften.
    So vergingen vier Tage, einer davon war der »schwarze Schabbat«. Wir nannten ihn später so wegen eines traurigen Ereignisses an ebendiesem Tag. Am Sonntag, dem Tag nach Schabbat, erhielten wir eine umfangreiche Lieferung von Nahrungsmitteln, darunter viel Gebäck. Das Essen war für die barmizwah eines Jungen aus unserem Hof zubereitet worden, dessen Familie die Erlaubnis hatte, dort wohnen zu bleiben. Doch am Schabbat, an dem er aus der Thora vorlesen und danach das Festessen stattfinden sollte, wurde der Familie die Aufenthaltsbewilligung kurzfristig entzogen, und sie musste sich sofort zum Transport melden. Deshalb wurden die barmizwah und die Feier abgesagt, und wir bekamen die Köstlichkeiten.
    Wir Kinder waren natürlich entzückt und hielten uns nicht lange damit auf, darüber nachzudenken, wie traurig der Grund für diesen unerwarteten Überfluss war. Die Erwachsenen weinten und trauerten wegen der Tragödie, der wir das Festmahl zu verdanken hatten, und wollten zunächst keinen Bissen anrühren. Schließlich, als sie den Hunger nicht mehr aushielten, aßen sie doch etwas, hatten aber ein schlechtes Gewissen.
    Am Tag vor tischa be-aw, dem Fastentag am neunten Tag des hebräischen Monats Aw (der im Jahr 1942 auf den 23. Juli fiel), an dem wir der Zerstörung des ersten und zweiten Tempels gedenken, erklärte mein Vater, er habe nun genug davon, sich auf dem Dachboden zu verstecken, der uns alle deprimierte. Er schlug vor, heimlich in unsere Wohnung zu schleichen, eine Nacht wie Menschen zu schlafen und am nächsten Morgen auf den Dachboden zurückzukehren. Mutter war zunächst dagegen, willigte aber nach einem heftigen Streit schließlich ein. Nacheinander kletterten wir die Leiter hinunter, und als wir alle im Lagerraum angekommen waren, wurde sie wieder hochgezogen und die Öffnung verschlossen.
    Die Sonne war zwar untergegangen, aber es war noch nicht ganz dunkel. Wir brachten allerdings nicht die Geduld auf, noch länger zu warten. Mucksmäuschenstill schlichen wir uns fast auf allen vieren zu unserer Wohnung. Wir rührten

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