Weine ruhig
Nach ein paar Stationen hielten wir in der Stadt, in der der Schmuggler das »Paket«' Verwandten von uns übergeben sollte. Sie würden uns am nächsten Tag nach Budapest bringen. Der Mann fragte nach der Adresse, die meine Eltern ihm gegeben hatten, und noch in derselben Nacht kamen wir bei unseren Verwandten an, die unsere Ankunft bereits ungeduldig erwarteten.
Eine angenehme Wärme hüllte uns in dem Haus ein und machte uns sehr schläfrig. Es war sehr spät, und wir hatten einen langen, anstrengenden Tag hinter uns. Ich konnte mich nicht mehr länger auf den Beinen halten und legte mich auf den Boden, völlig erschöpft, und meine Schwestern taten es mir nach. Wir wollten nur noch schlafen.
Die Familie, bestehend aus den Eltern und zwei kleinen Kindern, umringte uns neugierig. Sie halfen uns hoch, setzten uns auf das Sofa und gaben uns Apfelsaft zu trinken. Als wir uns ein wenig erholt hatten, stellten wir uns gegenseitig vor. Die Eltern fragten uns, wie alt wir seien. Sie erklärten uns, dass wir die Cousinen zweiten Grades ihrer Kinder seien und dass sie uns einmal, vor langer Zeit, besucht hätten. Unser »Lieferant« zeigte ihnen Vaters Brief. Er bekam etwas zu essen und zu trinken, dann ging er sofort wieder los und nahm einen Brief unseres ungarischen Onkels mit, in dem dieser unsere Eltern informierte, dass wir sicher angekommen waren.
Unsere Verwandten herzten und küssten uns und beklagten unser trauriges Schicksal. Wie die meisten ungarischen Juden waren sie sicher, dass sie nicht in Gefahr schwebten. Schließlich waren ihre Familien seit Generationen ungarische Staatsbürger, und sie waren loyal gegenüber ihrem Land und glaubten, die nichtjüdischen Ungarn würden mit Sicherheit nicht zulassen, dass »ihre« Juden so leiden müssten wie wir. Nachdem wir uns gewaschen und ein wenig gegessen hatten, gingen wir zu Bett und schliefen sofort ein.
Am nächsten Morgen nahm uns die Mutter mit in die Hauptstadt, nach Budapest. Die Fahrt dauerte mehrere Stunden. Ich war überrascht und begeistert von dem großen eleganten Budapester Bahnhof. Das Gewühl der vielen Menschen, die kamen und gingen, faszinierte mich. Wir waren in einer der schönsten Städte Europas, und ich, das Mädchen aus einer slowakischen Kleinstadt mit 15 000 Einwohnern, war vollkommen hingerissen.
Wir bahnten uns den Weg durch die Menge zur Haltestelle der Straßenbahn, die uns bis zur Wohnung von Tante Mariska und Onkel Jenö bringen würde. Ich konnte meinen Blick nicht von den hohen Häusern losreißen und war begeistert von den vielen Autos, den Straßenbahnen und den Kutschen, die auf den breiten Boulevards vorbeifuhren. Die Straßen waren voller Menschen, die es alle eilig zu haben schienen. Ich sah in die Schaufenster, und trotz der Kälte bat ich, ab und an stehen bleiben zu dürfen, damit ich mir die ausgestellten Waren genau ansehen konnte.
Dann stiegen wir in die Straßenbahn. Es war meine erste Fahrt mit einer Straßenbahn, und ich genoss sie sehr. Wir kamen zu einem sechsgeschossigen Haus. Noch nie hatte ich ein so hohes Haus gesehen - das höchste Haus in Michalovce hatte drei Stockwerke. Wir stiegen die Treppe bis zum zweiten Stock hinauf und klingelten. Die Tür öffnete sich, und da standen Tante Mariska und Onkel Jenö mit ihren drei kleinen Kindern, einem Jungen und zwei Mädchen. Sie waren bei unserem Anblick sehr bewegt. Ich kannte sie bis dahin nur von Fotos und wartete nun neugierig auf ihr Willkommen. Sie ließen uns sogleich eintreten, umarmten und küssten uns immer wieder, und alle unsere Gefühle lösten sich in einem bewegten Strom von Tränen. Gott sei Dank, wir waren sicher angekommen. Nach den vielen Belastungen der Reise hatte ich das Gefühl, einen sicheren Hafen erreicht zu haben, mein neues Zuhause.
Die Verwandte, die uns gebracht hatte, blieb ein paar Stunden und ging dann wieder, mit dem Versprechen, dass wir uns wiedersehen würden. Es blieb jedoch bei dem Versprechen. Sie und ihre Familie wurden ermordet, wie fast alle ungarischen Juden.
Nachdem wir es uns ein wenig bequem gemacht hatten, fragten Onkel und Tante uns aus. Zuerst war ich verwirrt und fühlte mich überrumpelt, ich kam mir vor wie im Zeugenstand, als müsste ich mich verteidigen. Doch dann erzählte ich von Mutter und Vater, von der Situation zu Hause, den Plünderungen, den Demütigungen, den Transporten und, natürlich, von der getürkten Operation. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie mir nicht glaubten, dass sie dachten, ich
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