Weine ruhig
Schwester.«
Aber schon eine Woche später brachte Onkel Herman Miriam zurück. Das Mädchen habe nur geweint, sagte er, und sei völlig apathisch. Er habe es sehr schwer mit ihr gehabt. Seine Haushälterin habe ihm zwar geholfen, aber sogar sie sei schließlich verzweifelt.
Obwohl nur eine Woche vergangen war, hatte sich meine kleine Schwester, wie ich sah, sehr verändert. Ihr schwarzes Haar, das sie so gern kämmte, war sehr seltsam mit einer Schleife auf ihrem Kopf zusammengebunden. Die Kleider, die sie trug, waren ihr mindestens zwei Nummern zu groß und reichten ihr bis zu den Knöcheln. Sie sah benommen aus, dünn und blass.
Kaum war sie im Haus, rannte sie auf mich zu, legte mir ihre Arme um die Taille, drückte mich und flüsterte: »Ich will nicht bei Onkel Herman wohnen. Ich möchte bei dir sein.«
Als sie das sah, beschloss Tante Mariska, Miriam dazubehalten. Irgendwelche wohlhabenden Verwandten unterstützten uns, und wir konnten zusammenbleiben.
Mitte Januar 1944 wurden wir in einer Schule angemeldet, obwohl die Hälfte des Schuljahres bereits verstrichen war. Ich wurde in die vierte Klasse - statt in die sechste - gesteckt, und Miriam kam in die erste statt in die zweite Klasse. Als ich das Klassenzimmer betrat, stellte mich die Lehrerin als ein Flüchtlingsmädchen vor, das adoptiert worden war, und bat die anderen Schüler, mir zu helfen, mich einzuleben. Früher war ich immer das kleinste Mädchen in der Klasse gewesen, aber jetzt war ich zum ersten Mal das größte Kind, weil die anderen zwei Jahre jünger waren als ich. Mein Ungarisch half mir vor allem bei den Gesprächen und im Unterricht, aber auch die Lücke im Schreiben schloss ich schnell. In Fächern wie Rechnen und Zeichnen, in denen die Beherrschung der Sprache nicht wichtig war, hatte ich keine Probleme.
Zu Hause war ich sehr gern zur Schule gegangen, aber hier ging ich ohne Begeisterung hin und mit dem Gefühl, dass ich keine Wahl hatte. Ich langweilte mich und empfand die Schule als verschwendete Zeit. In die Klassengemeinschaft passte ich auch nicht, und ich fühlte mich nicht wohl, vielleicht wegen des Altersunterschieds. Aber Tante Mariska und Onkel Jenö, die nicht wussten, wie lange wir bei ihnen bleiben oder ob wir jemals wieder nach Hause zurückkehren würden, wollten, dass wir ein normales Leben führten, so wie andere Kinder. Wir sollten uns nicht wie Flüchtlinge fühlen.
Nur selten kam ein Brief von Mutter und Vater. Die Briefe, die wir ab und an erhielten, wurden immer trauriger, obwohl das Ende des Krieges endlich in Sicht war. In dieser Phase erlitten die Deutschen an allen Fronten schwere Niederlagen, und es war abzusehen, dass sie besiegt werden würden.
Im März 1944, als sich die Ostfront der Slowakei näherte, hörten wir, dass die slowakische Regierung beabsichtige, die wenigen Juden, die noch im Ostteil des Landes verblieben waren, zusammenzutreiben und nach Polen zu deportieren, um zu verhindern, dass sie mit den heranrückenden Russen kollaborierten. Doch durch geschickte Verhandlungen und die Zahlung hoher Bestechungssummen gelang es den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden in der West- und Nordslowakei, diese Juden zu sich zu holen. Aus dem Westteil des Landes waren bis dahin vergleichsweise wenige Juden deportiert worden. Sie nahmen nun die Juden aus dem Osten der Slowakei bei sich auf. Auch ein Großteil der nichtjüdischen Bevölkerung wurde aus den östlichen Landesteilen evakuiert.
Zur gleichen Zeit wurde Budapest von den Alliierten heftig bombardiert, und wir verbrachten viele Stunden in irgendwelchen Bunkern. Tausende von Menschen wurden bei den Luftangriffen getötet oder verwundet und Zehntausende ausgebombt. Auch während des Unterrichts heulte oft die Sirene, und wir mussten in den Keller gehen. Einmal, auf unserem Nachhauseweg, heulten die Sirenen, als wir mitten auf einer belebten Straße waren. Die Menschen fingen an zu rennen, suchten panisch nach öffentlichen und privaten Luftschutzkellern. Wir rannten, bis wir einen Ort fanden, an dem wir unterkamen. Mehrere Stunden lang saßen wir in diesem Bunker fest, und als wir herauskletterten, war es fast schon dunkel. Tante Mariska hatte sich große Sorgen um uns gemacht, und seitdem hatte ich Angst, zur Schule zu gehen.
Die Wohnung unserer Verwandten befand sich im zweiten Stock eines Hauses, das an einer der Hauptstraßen des jüdischen Viertels lag. Über uns, im dritten Stock, wohnte noch eine jüdische Familie mit einem
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