Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
Vom Netzwerk:
Frau, und wir beobachteten sie mit angehaltenem Atem.
    Als die Bäuerin Mutter plötzlich auf die Lichtung treten sah, erschrak sie. »Jesus und Maria, wer bist du, und wo kommst du her?«
    Mutter antwortete ihr auf Ungarisch, hoffend, dass sie sie verstehen würde, denn sie wusste, dass einige Menschen in dieser Gegend der Slowakei Ungarisch sprachen. »Bitte, hilf mir. Gib mir etwas Milch für meine Kinder. Gott wird es dir vergelten.«
    Die Frau wich zurück, sichtlich verstört. Sie sah sich verwirrt um, aber konnte offenbar Mutters flehenden Augen nicht widerstehen und goss zwei Tassen Milch in eine Schüssel. In gebrochenem Ungarisch wiederholte sie ständig: »Feie, feie melonek.« (»Ich Angst, sie schießen mich.«)
    Offensichtlich überrumpelt von dieser völlig unerwarteten Begegnung, schüttelte die Frau immer wieder den Kopf, als wollte sie ihren Augen nicht trauen, und blieb wie angewurzelt stehen, nachdem Mutter im Wald verschwunden war, wo wir auf sie warteten. Nach einer Weile sahen wir, wie sie die Kuh schnell in die entgegengesetzte Richtung scheuchte, als wären Dämonen hinter ihr her.
    Die frische Milch war einfach köstlich. Früher waren wir verwöhnte kleine Mädchen gewesen, wir waren wählerisch, und Milch mochten wir überhaupt nicht. Doch jetzt hatten wir großen Hunger, der Duft der Milch ließ uns das Wasser im Mund zusammenlaufen, und wir tranken schnell und gierig.
    Am nächsten Tag sahen wir endlich die Häuser eines Dorfes. In der Hoffnung, dort etwas Essbares aufzutreiben, beschleunigten wir unsere Schritte. Es war schwer, die Entfernung bis zum Dorf abzuschätzen. Wir überlegten laut. Wie sollten wir jetzt vorgehen? Welche Zeit war am geeignetsten, ins Dorf zu gehen und zu versuchen, Lebensmittel zu kaufen? Und wer sollte die Aufgabe übernehmen? Mutter und Vater zermarterten sich die Köpfe, und schließlich deutete Vater auf mich und sagte: »Du bist schon ein großes Mädchen. Ich werde dir Geld geben und dir den Weg zum Dorf zeigen. Wenn du dort bist, sieh dich nach dem Kaufmannsladen um« - in jedem Dorf gab es einen, mochte es noch so klein sein -»und kauf so viel zu essen ein, wie du für das Geld bekommen kannst.«
    Mutter widersprach heftig: »Die vielen Tage im Wald haben dich verwirrt! Wie kannst du es wagen, überhaupt nur daran zu denken, das Mädchen allein ins Dorf zu schicken? Du schickst sie geradewegs ins Verderben! Nein, sage ich.«
    Selbstverständlich wäre Vater selbst losgezogen, wenn sein Äußeres ihn nicht sofort verraten hätte; und da Mutter die Landessprache nicht ausreichend beherrschte, fiel die Wahl auf mich.
    Als Mutter und Vater endlich ihren Streit beigelegt hatten, war es zu spät, den Plan noch am selben Tag in die Tat umzusetzen. Es wurde bereits dunkel. Aber am nächsten Morgen war es so weit. Ich gab mir Mühe, Mutter aufzumuntern, versicherte ihr, dass es mir leicht fallen würde, Essen für uns alle zu bekommen.
    Arme Mutter, sie hatte immer Angst. Selbst in weniger gefährlichen Situationen wollte sie uns immer mit aller Macht beschützen. Und was für eine schwierige Prüfung das Schicksal diesmal für sie bereithielt! Sie musste ihre Einwilligung zu diesem äußerst riskanten Abenteuer geben. Ihre Tochter entfernte sich aus ihrem Blickfeld, entzog sich ihrer Kontrolle, und vielleicht würde sie einem Gardisten in die Arme laufen, vielleicht kehrte sie nie zurück! Doch da sie keine andere Möglichkeit sah, gab sie unseren flehentlichen Bitten nach, wenn auch schweren Herzens.
    Ich machte mich auf den Weg zum Waldrand, mit dem Geld, das Vater mir in die Manteltasche gesteckt hatte. Wie in dem Märchen von Hänsel und Gretel, die Brotkrumen auf den Weg streuten, um wieder nach Hause zu finden, beschloss ich, mir die Bäume und Steine einzuprägen, an denen ich vorbeikam, um zurückzufinden. Am Waldrand sah ich ein weites Feld vor mir liegen. Ich musste mir sicher sein, die Stelle wiederzufinden, an der ich auf dem Rückweg in den Wald huschen musste. Ich drehte mich um, betrachtete den dichten, dunklen Wald, in dem alle Bäume gleich aussahen, versuchte, irgendetwas Auffälliges oder Ungewöhnliches zu entdecken, etwas, das ich leicht wiedererkennen könnte. Dann bemerkte ich einen Baum, der sich von den anderen deutlich unterschied: Seine Krone war besonders mächtig, und sein Stamm war so dick, dass drei Leute mit ausgebreiteten Armen ihn nicht hätten umspannen könnten. Mit einem scharfen Stein ritzte ich eine runde weiße

Weitere Kostenlose Bücher