Weine ruhig
Tiere, hätte er sich bestimmt ungläubig die Augen gerieben und sich gefragt, wo diese seltsamen, schäbigen Gestalten plötzlich herkamen und was sie suchten.
Die Sonne ging langsam unter. Wir wanderten auf einer gepflasterten Straße und ließen den Wald noch weiter hinter uns. Als wir bereits eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatten, kamen wir zu einer Kreuzung. Welchen Weg sollten wir nehmen? Wir hatten nicht die leiseste Ahnung, wohin die
Straßen führten. Dann erinnerte Vater sich, dass die drei jungen Leute, die wir im Wald getroffen hatten, gesagt hatten, sie würden nach Norden gehen, in der Hoffnung, zu einer Stadt namens Banskä Bystrica zu gelangen. Dort hätten die Partisanen die gesamte Gegend unter Kontrolle. Die Bewohner hätten sich den Partisanen angeschlossen. Deren Erfolg bei der Befreiung der besetzten Gebiete von den Deutschen und ihren slowakischen Helfershelfern hatte Tausende junger Menschen angezogen und vielen, die im Untergrund lebten, ermöglicht, wieder aufzutauchen. Auch Juden kamen aus ihren Verstecken. Alle hofften, dass die Partisanen ihre Aktivitäten ausweiten und auch die restliche Slowakei von den Faschisten und den deutschen Besatzern befreien würden.
»Dorthin werden wir gehen«, sagte Vater. »Auch wir werden eine Chance haben, in Freiheit und Sicherheit zu leben.« Er ging los, und wir folgten.
Plötzlich presste sich mir die Brust wie unter einem schweren Gewicht zusammen, und mein Herz fing an zu hämmern. Auch meine Hände und Füße wurden schwer. Ich brach zusammen und setzte mich erschöpft auf einen Felsbrocken neben der Kreuzung. Ich rang nach Luft und wusste nicht, wie mir geschah. Mutter und Vater fragten, was mir fehlte. War ich krank? Ich brach in Tränen aus. Ich war untröstlich. Ich wusste selbst nicht, warum ich weinte, und ich konnte nur flüstern: »Ich will nicht zu den Partisanen. Nicht dorthin, Vater. Lass uns da lang gehen.« Dabei deutete ich in die entgegengesetzte Richtung.
Meine Eltern waren erstaunt. Sie konnten meine eigenartige Bitte nicht verstehen. Sie versuchten, mich zu überzeugen, die von Vater gewünschte Richtung einzuschlagen, aber ich blieb fest und wiederholte immer wieder: »Nein, wir dürfen dort nicht hingehen!«
Ich wusste nicht - und weiß es bis heute nicht -, was in mich gefahren war und warum ich so stur blieb. Als Mutter und Vater merkten, dass sie mich nicht umstimmen konnten und dass ich mich an den Felsbrocken wie an einen Rettungsanker klammerte und mich weigerte, mich vom Fleck zu rühren, schwiegen sie schließlich. Ich sah, dass sich ihre Blicke trafen und sie beide diesen Zwischenfall als Wink des Schicksals deuteten.
1945, nach der Befreiung, erfuhren wir, dass der Aufstand in Banskä Bystrica am 27. Oktober 1944 niedergeschlagen worden war. Einige Widerstandskämpfer hatten in die Berge der Zentralslowakei fliehen können, aber die Übrigen waren gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet worden. Fast alle Juden, die aus ihren Verstecken gekommen waren und sich den Partisanen angeschlossen hatten, waren exekutiert worden. Kaum einem war es gelungen, mit den Partisanen zu fliehen. Einer der Überlebenden, ein Cousin meiner Freundin Yehudit - ein Junge in meinem Alter, den ich nach dem Krieg kennen lernte -, erzählte, dass seine gesamte Familie, darunter auch Yehudit, vor seinen Augen ermordet wurde. Ihm war es gelungen, sich zu verstecken, und er hatte durch einen Spalt in der Mauer entsetzt mit ansehen müssen, wie sie gefoltert und erschossen wurden.
Wir setzten uns wieder in Bewegung, diesmal in eine andere Richtung. Die Sonne war gerade untergegangen, als wir am Horizont ein Dorf sahen - kleine Häuser zwischen einzelnen Kiefern. Der Ort hieß Cabaj-Cäpor, wie wir später erfuhren.
»Dort werden wir unser Glück versuchen«, erklärte Vater.
Als wir uns dem ersten Haus des Dorfes näherten, war es schon völlig dunkel geworden, und nur das Licht, das aus den Fenstern leuchtete, wies uns den Weg. Das Haus stand in einiger Entfernung vom eigentlichen Dorf. Es war klein und bescheiden. Als wir uns näherten, fingen in weiter entfernten Höfen die Hunde zu bellen an.
»Schnell«, drängte Vater uns, »lasst uns anklopfen, ehe die
Dorfbewohner aus ihren Häusern kommen, um zu sehen, warum die Hunde anschlagen.«
Vater klopfte ein paarmal, bis die Tür schließlich geöffnet wurde. In der schwachen Beleuchtung des Eingangs sahen wir einen nachlässig gekleideten jungen Bauern. Er musterte uns
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