Weinen in der Dunkelheit
und sahen Filme. Plötzlich ging dann das Licht an, und Suppi stand im Raum. Er schaute in die Runde. Wir wußten nie, ob er uns beim Händchenhalten kontrollierte oder ob er uns beim Westfernsehen ertappen wollte.
Heimlich sahen wir doch Westsendungen; einer stand Schmiere. Es ging ruckzuck, Pflaster ab, Knopf herum und fertig. Bis ein Erzieher den Fernsehraum über den langen Flur erreichte, waren wir schon längst gewarnt. Ruckzuck, Knopf anders herum, Pflaster drauf und unschuldig in den »schwarzen Kanal« gucken. Später nagelte ein Erzieher aber doch ein Brett mit Vorhängeschloß davor.
Oft langweilte ich mich beim Westfernsehen, wenn nämlich die Großen die Reden von Adenauer eingestellt hatten. Ich verstand kein Wort von dem, was er sagte.
Wenn Suppi allerdings einen Jungen beim Knutschen erwischte, dann war der Fernsehabend für uns gelaufen.
»Fernseher aus und alle in die Gruppen!« schrie er richtig hysterisch. Dabei drohte sein kleines Köpfchen vor Wut zu platzen. Obwohl wir oft fanden, daß die Jungen mehr Freiheiten hatten als wir Mädchen - zum Beispiel durften sie abends länger draußen bleiben, und Suppi machte öfter Fahrten mit ihnen nach Priros -, hätten wir in solchen Momenten doch nicht mit ihnen tauschen mögen. Sie wurden von ihren Erziehern viel mehr angeschrien als wir von unseren Erzieherinnen.
Eines Abends standen wir noch vor der Haustür und redeten mit den Jungs über belangloses Zeug und lachten. Wenn Erzieher vorbeikamen, merkten wir deutlich, daß sie sich als Anlaß für unsere Heiterkeit sahen und veralbert fühlten. Natürlich wurden sie oft von uns bewitzelt, jeder hatte seinen Spitznamen, aber nie hätten wir uns getraut, einem Erzieher gegenüber etwas in dieser Art zu sagen. Wir waren in dem Alter viel zu sehr mit uns beschäftigt, so daß uns die Erzieher nicht interessierten.
Da kam Suppi um die Ecke. Ihn störte wohl unsere gute Laune, oder er vermutete, wir lachten über ihn, jedenfalls sagte er:
»Ab, alle ins Haus.«
Wir Mädchen hörten nicht auf ihn, denn er war nicht unser Erzieher. Wir taten, als hätten wir nichts gehört, und blieben stehen. Eigentlich hatten wir jeder Anordnung zu folgen. Ermahnte uns der Erzieher aber nicht zwei- oder dreimal, wußten wir, daß nichts zu befürchten war und die Anordnung nur routinemäßig erfolgte. Die Erzieher waren vor allem bestrebt, in ihren Gruppen Ordnung zu haben. Standen die ihnen anvertrauten Kinder mit anderen zusammen, wurden diese natürlich zwangsläufig mit bemerkt und das Verbot galt auch für sie. Verbote gingen allen Erziehern ziemlich schnell über die Lippen.
Bis auf einen gingen alle Jungs ins Haus. Suppi forderte Hans nun zum zweiten Mal auf, hineinzugehen. Aber Hans antwortete:
»Du hast mir gar nichts zu sagen!«
Erstaunte Blicke von uns und peinliches Schweigen. So kannte ich Hans nicht. Er war sonst ein ruhiger Typ und machte, im Gegensatz zu den anderen Jungs unserer Klasse, den Erziehern keine Schwierigkeiten. Wenn wir auch sonst nie die Möglichkeit hatten, uns zu wehren - den Mund ließen wir uns nicht verbieten. Die Erzieher nannten uns dann vorlaut oder frech. Aber es traute sich niemand, einen Erzieher zu duzen, da mußte Hans schon sehr wütend sein. Unter uns duzten wir alle Erzieher und hatten die schärfsten Bezeichnungen für sie. Es kam schon mal vor, daß das dem Erzieher zugetragen wurde, aber letztendlich hielten wir alle zusammen.
Ich habe ein einziges Mal, als ich sehr wütend war, unseren Klassenlehrer mit »du alter Sack« ange-schrien, weil er mir mit seinen Umarmungen auf die Nerven fiel. Wenn er durch die Reihen ging, blieb er bei mir stehen, schaute in mein Heft, legte den Arm um meine Schultern und sprach mit seinem jauchigen Mundgeruch über meine Fehler. In mir stieg jedesmal Ekel hoch, und ich versuchte seinen Arm abzuschütteln. Irgendwann reichte es mir, ich konnte mich nicht mehr beherrschen und brüllte ihn an:
»Hau ab, du alter Sack!«
Das brachte mir einen Verweis vom Direktor ein, weil ich zu meiner Entschuldigung nichts sagen wollte.
Suppi wurde nun merklich nervöser. Gespannt blieben wir stehen, keiner wollte sich das Duell entgehen lassen. Hans drehte sich betont gelangweilt zu uns um, da packte Suppi ihn von hinten am Arm und sagte grob:
»Los, rein l«
Hans riß sich los und antwortete in drohendem Ton: »Faß mich nicht an, sonst kannst du was erleben!« Suppi drehte sich um und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, ins Haus. Mit dieser
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