Weinen in der Dunkelheit
ich war einfach nicht in der Lage, mich zu bewegen. Erst ihr Rufen löste in mir eine Reaktion aus. Ich rannte ebenfalls brüllend los, schrie aber nicht Tante Emma, sondern Tante Friedel, was mir in diesem Moment gar nicht auffiel.
Als gäbe es einen lieben Gott, der uns einen Retter in der Not schickte, kam von vorn ein Erzieher der Jungengruppe. Aufgeregt und erleichtert erzählten wir, was uns eben passiert war. Doch da lachte er nur blöde und ließ uns stehen. Wir standen am Dorfeingang und wußten nicht weiter. Zurück durch den Wald wollten wir auf keinen Fall; das Waldschwein, so tauften wir den Mann, sollte uns nicht noch einmal begegnen. Als wir überlegten, was wir machen sollten, kamen die Jungs unserer Klasse vom Einkauf aus dem Dorf. Wir erzählten ihnen alles, und gemeinsam legten wir den Weg durch den Wald zurück.
Aber nun trauten wir uns nicht mehr, ausgedehnte Spaziergänge durch den Wald zu machen, wir hielten uns immer in der Nähe der Herberge auf. Die Mädchen gingen nur noch gemeinsam ins Dorf. Es mußte sich schnell herumgesprochen haben, daß Mädchen in der Herberge waren, denn ständig standen Typen mit Motorrädern vorm Haus. Dann begann das Hupen und Pfeifen nach uns. Einige Mädchen fanden es toll und gingen raus zu ihnen oder hingen an den Fenstern. Wenn wir mit den Erziehern im Wald waren, wurden wir ständig eingekreist. Ich merkte schnell, wie unsicher die Erzieher wurden, und hielt mich deshalb immer in der Mitte der Gruppe.
Um nicht irgendeinem Jungen aufzufallen, schaute ich immer gleichgültig vor mich auf die Erde.
Nach vier Tagen hatte unsere Heimleiterin die Nase voll, sie rief die Mädchengruppe zusammen, und dann erzählte sie von Antje. Sie stellte Antje als warnendes Beispiel hin. Antjes Schicksal war nicht allen bekannt und löste bei den Mädchen Erstaunen und Entsetzen aus. Viele glaubten, Antje sei für immer nach Hause gegangen oder in ein anderes Heim. Daß sie ein Kind bekommen hatte, wußte kaum jemand.
Die Worte der Heimleiterin verfehlten ihre Wirkung nicht, die Mädchen öffneten ihre Fenster nicht mehr, und keine ging mehr zu einem Jungen nach draußen.
Nur Carlotta war ein wenig sauer auf mich, weil ich ihr von Antjes Schwangerschaft nichts erzählt hatte.
Die Liebe wird probiert
Nach den Winterferien gingen bald alle Mädchen mit einem Jungen von uns. Die ersten Küsse wurden getauscht, und die Ecken der Flure waren bald voller knutschender Liebespärchen. Es brach eine richtige Knutschwelle aus. Die Erzieher versuchten dagegen anzugehen, aber sie hatten keinen Erfolg. Wenn man wollte, konnte man im Heim viele Plätze finden, ohne entdeckt zu werden. Die Kiefernschonung war genau der richtige Treffpunkt für die ersten Zärtlichkeiten; bis hierher kam nie ein Erzieher. Und wenn doch, konnte man ihn rechtzeitig sehen und sich noch besser verstecken.
Ich gehörte nicht zu den Mädchen, die einen Freund hatten, denn von den Jungs, die übrigblieben, gefiel mir keiner, und großes Interesse an ihnen hatte ich auch noch nicht.
So hörte ich abends im Bett den mir anvertrauten Geheimnissen zu und schwor, keinem etwas zu erzählen. Es waren alles harmlose, kindliche Erlebnisse. Um so mehr störte mich das geringe Vertrauen der Erzieher zu uns. Sie zeigten kein Verständnis für die Techtelmechtel zwischen den Jungen und Mädchen. Ständig lebten wir alle in dem Gefühl, etwas Schlechtes oder Verbotenes zu tun. Die Ermahnungen und Vorhaltungen der Erzieher führten nur dazu, daß die Jungen und Mädchen noch fester zusammenhielten und die Verstecke immer raffinierter wurden.
Die Paare fanden auf den Dachböden genauso gute Verstecke wie im Keller. Dabei hielten die Freundschaften nie lange, häufig wechselten die Mädchen und Jungen untereinander, es wurde eben die Liebe probiert. Ich fand es blöd von den Erziehern, daß sie sich nur negativ zu einer Freundschaft äußerten. Entweder hieß es, wir seien noch zu jung oder man fragte uns drohend, ob wir vielleicht auch schon als Kinder Kinder haben wollten. Für sie waren wir nur schlecht, dabei waren sie es selbst.
Niemand gab sich die Mühe, ein aufklärendes Gespräch über Sexualität mit uns zu führen. Besonders gemein verhielt sich ein Erzieher von den Jungs. Er war unser ehemaliger Pionierleiter. Weshalb er dann die Jungengruppe übernahm, wußten wir nicht.
Suppi hatte es sich zur Aufgabe gemacht, am Abend immer den Fernsehraum zu kontrollieren. Hier saßen wir gemeinsam mit den Jungs im Dunkeln
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