Weinland & Stahl
nachtdunklen Augen hatte etwas Exotisches...
Zu weiteren Höhenflügen seiner Phantasie kam es nicht. Etwas hielt seine Gedanken an. Unsichtbare Finger schienen in seinem Kopf umherzutasten, und Reuven bemerkte gerade noch, wie der Nachhall der Angst, den er eben noch verspürt hatte, vollends verwehte, ehe er es schlicht vergaß.
»Du hast ihn gesehen?«, fragte die schwarzhaarige Fremde.
»Wen?«, hörte Reuven sich zurückfragen.
»Den Vampir.«
»Ja«, antwortete Reuven und wunderte sich, dass er völlig ohne Furcht an das Monster und alles, was es angerichtet hatte, denken konnte.
»Wo ist er jetzt?«, wollte sie wissen.
»Im Feuer verbrannt... hoffe ich«, sagte Reuven und zeigte mit dem Daumen hinüber zur Kirche.
»Du weißt es nicht sicher?«
»Nein.«
»Dann lass uns hingehen und nachsehen«, verlangte sie.
Nein!
wollte Reuven schreien. Doch laut erwiderte er zu seinem größten Entsetzen: »Natürlich, gern.«
Bereitwillig folgte er Heaven hinaus aus der Gasse und hinüber zur Kirche.
»Verdammt, man sollte dich über Bord schmeißen, du Ratte!«
Parker Flagg warf die Pokerkarten wütend auf den festgeschraubten Tisch, wo sie unter dem Häufchen zerknüllter Dollarnoten verschwanden. Mit mindestens der gleichen Wut hätte er liebend gern das breite Grinsen aus dem Mausgesicht von Lloyd Delacroix gewischt, der sich über die Platte lehnte, die Geldscheine wie eine Geliebte in die Arme schloss und an sich zog, um den Berg, der sich bereits vor ihm türmte, noch ein wenig wachsen zu lassen.
»Das Glück ist mit dem Tüchtigen«, meinte Delacroix und zog sein Grinsen noch eine Spur in die Breite. Auch auf die Gefahr hin, dass ihm das geringste bisschen Zugluft seine schiefstehenden Zahnruinen in den Rachen fegen konnte. Wenn das nicht vorher seine Pokerkumpel erledigten, denen er in den vergangenen drei Stunden mindestens zwei Tagesheuern abgeknöpft hatte. Pro Kopf und auf ganz saubere Art.
»Ich steige aus«, brummte Joseph Brundle, ein schwarzer Riese mit ewig tränenden Augen. »Del bringt es fertig und nimmt uns noch die volle Heuer ab.« Er schnippte dem kleinen 'Glückspilz' sein Blatt mitten in sein Grinsen hinein.
»Ich räume dir gerne Kredit ein«, sagte Delacroix, noch immer ungerührt grinsend. Seine Hände wieselten über den Tisch, sammelten die Karten ein und begannen sie so schnell zu mischen, dass es sich mit bloßem Auge kaum verfolgen ließ.
»Nein, danke«, erwiderte Brundle. »Ein paar Bucks sollten noch übrigbleiben. Zuhause müssen fünf hungrige Mäuler gestopft werden.«
»Wenn du reich werden willst, solltest du dir deine Kollegen besser aussuchen«, riet Parker Flagg mit giftigem Blick auf Delacroix.
Der Schwarze winkte ab. »Lass mal. Diese Tour noch, und dann werde ich mich wohl nach einem Job auf dem Trockenen umsehen. Einen, der morgens anfängt und abends aufhört. Und der mich nicht auf einem Kahn wie diesem tagelang über den Atlantik schippern lässt, um mich dann in der Einöde Alaskas auszuspucken.«
Für einen Augenblick schien sich der Boden unter den Füßen der Männer aufzubäumen, und fast glaubten sie, über dem allgegenwärtigen dumpfen Dröhnen der Maschinen das gischtende Rauschen zu hören, mit dem die NOSTROMO einen besonders hohen Wellenberg hinab rutschte.
»Die alte Lady mag es nicht, wenn man schlecht über sie redet«, grinste Delacroix.
»Vielleicht versucht sie auch nur, auf diese Weise zweibeinige Ratten abzuschütteln«, meinte Flagg.
»Du bist der schlechteste Verlierer, der mir je auf den sieben Weltmeeren begegnet ist«, sagte der Stämmigkleine mit dem französischen Namen.
»Und du der mieseste Falschspieler.«
Delacroix hob gewichtig den Zeigefinger. Sein Grinsen schien mittlerweile zu einer Gesichtslähmung ausgeartet zu sein, denn es verschwand auch nach Flaggs neuestem Verbalangriff nicht aus seinen stoppelübersäten Zügen.
»Oho, sag das nicht, Flagg. Ich kann dir von Typen erzählen, von denen wagst du nicht mal zu träumen. Ich hab da mal einen getroffen, es muss vor Shanghai gewesen sein...«
Ein Schwall eisiger und regendurchsetzter Luft, der den im Raum hängenden Tabakqualm durcheinanderwirbelte, und das Geräusch schwerer, eiliger Schritte hinderten Delacroix daran, sein Seemannsgarn weiter abzuspulen. Parker Flagg ertappte sich dabei, wie er ein stummes Dankesgebet gegen die Stahldecke über ihnen sandte.
»Shit, da draußen pissen sich die Engel die Seele aus dem Leib, kann ich euch
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