Weinprobe
eins von beidem war
unvermeidlich.
Eine gewisse Sicherheit, dachte ich, mußte es im
Beisein all dieser Lieferanten doch geben.
Im Stehen also.
Ich rutschte zurück und ließ mich in den engen
Spalt zwischen dem Berg Pol Roger und dem kleineren Stapel Krug dahinter
gleiten.
Ich zitterte. So nicht. Ich trat halb gelähmt vor
Angst aus dem Schutz des Sektes heraus und ging zu den Männern mit dem Gin.
Einer von ihnen unterbrach sich bei der
Denunzierung eines vorsätzlichen Tritts gegen eine Kniescheibe und sagte:
»Verflucht, wo kommen Sie denn her?«
»Vom Büro«, sagte ich vage. »Sind Sie fertig?«
»So gut wie.« Fachmännisch luden sie die letzten Kartons ab.
»Das wär’s. Wollen Sie unseren Schein
unterschreiben?«
Einer von ihnen holte einen zusammengefalteten
gelben Zettel aus der Brusttasche seines Overalls, den er mir hinhielt.
»Ehm …« sagte ich, und kramte nach einem Kuli.
»Ja.«
Ich faltete den gelben Zettel auf, drückte ihn
gegen einen Karton Gin, setzte an die vorgesehene Stelle eine unleserliche
Unterschrift und gab ihn den beiden zurück.
»Alles klar. Wir verschwinden.«
Sie ließen den Gabelstapler mitten auf dem breiten
Hauptgang stehen und peilten die Tür an. Fast ohne nachzudenken packte ich den
Griff des Staplers und schob ihn hinter ihnen her, und auf diese Weise traf ich
dann auch mit Vernon zusammen.
Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er sah gebeutelt
aus, kleine unruhige Augen über einem üppigen Schnurrbart, offener Mund, schwer
und hastig atmend.
Er gab mir ein ganz leichtes Stirnrunzeln. Er war
damit beschäftigt, eine hereinkommende Ladung weißer Kartons zu begleiten. Ich
ließ den Stapler los, den ich geschoben hatte, ging an Vernon und dem Pol
Roger vorbei und war draußen auf dem Gang, ohne eine Spur von Paul Young,
ohne Gebrüll, ohne Fänger im Rücken.
Ich folgte den Ginmännern in ihren braunen Overalls
um die Ecke auf den Hauptkorridor, von wo es nicht mehr weit war bis ins Freie …
und dort stand Paul Young, vor dem grünen Eingang, bestrahlt vom Tageslicht.
Wie wartend stand er da, stämmig, gedrungen, unscheinbar, ein Mann ohne
Mitleid.
Ich blickte den Weg zurück, den ich gekommen war.
Vernon hatte sich von dem Sekt losgeschält und heftete sich auf meine Fersen,
offenbar unschlüssig, neugierig, zumindest halb mißtrauisch.
»Sie da«, sagte er. »Ich hab’ Sie nicht reinkommen
sehen.«
»Wartung«, entgegnete ich kurz. »Nur eine
Kontrolle.«
Vernons Miene verfinsterte sich. Paul Young blieb
bewegungslos in voller Sicht an der Vordertür, von wo er draußen etwas
beobachtete.
Ich wandte mich der einzigen Alternative zu, dem
langen Gang, der tief unter die Tribüne führte. Vernon blickte in die Richtung,
in die ich geschaut hatte, sah Paul Young und kniff den Mund zusammen. Ich gab
ihm keine Zeit, seinen Argwohn gegen mich zu verfestigen, sondern bewegte mich
den langen Gang hinunter, als wäre mir jeder Schritt des Weges vertraut. Als
ich nach etwa fünfzehn Schritten zurückblickte, war Vernon noch da und starrte
mir noch immer nach. Ich winkte ihm zu. Hinter ihm versperrte Paul Young immer
noch den Weg ins Freie. Ich ging weiter vorwärts und wehrte mich gegen den
fatalen Drang zu laufen. Schau dich auf keinen Fall noch mal um, mahnte ich
mich. Vernon würde die Verfolgung aufnehmen.
Nicht, daß du dich umblickst.
Nicht, daß du wirklich losrennst.
Ich ging schneller und weiter und ahnte nicht,
wohin.
18
Der Gang endete in Küchenräumen: riesige
höhlenartige Hallen, wo überall rostfreier Stahl in Form monströser
Mischbottiche und spülsteingroßer Tabletts aufschoß.
Leer, kalt, sauber, schimmernd grau – eine
verlassene Science-Fiction-Landschaft, die am Dienstag von Wärme und Gerüchen,
von Speisen und Geschäftigkeit erfüllt gewesen sein mußte. Einige Lichter
brannten, zu wenig für den Raum, doch nichts deutete darauf hin, daß gearbeitet
wurde. Trotz aller guten Vorsätze blickte ich zurück, als ich den Gang hinter
mir ließ, und sah, daß Vernon mir tatsächlich gefolgt war.
Ich winkte erneut, als ich aus seinem Blickfeld
trat – ein kurzes, und wie ich hoffte, beruhigendes Zeichen.
Vernon war anscheinend nicht beruhigt. Ich hörte
seine Stimme, laut rufend aus der Ferne: »He!«
Er wußte nicht, wer ich war, befürchtete aber, daß
ich das bewußte Gespräch mit angehört haben könnte. Sein Unbehagen entsprang
dem Schuldbewußtsein, und die Hartnäckigkeit, mit der er mir folgte, einem
völlig richtigen
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