Weinprobe
Chenonceaux«, sagte ich
plötzlich.
»Was denn?«
»Auf diesem Saint-Estèphe- Schild . Ich
wußte doch, ich hatte es schon gesehen. Es ist das Château de Chenonceaux an
der Loire, abzüglich der Brücke.«
»Freut mich, daß Sie wissen, wovon Sie reden.«
Schon hatte er behutsam von allen gefälschten
Etiketten je eins in seiner Brieftasche verstaut und sie in seine Jacke
gesteckt. Alles andere ließen wir, wie es war, doch auf dem Weg nach draußen
hielt er sich zu meiner Erleichterung nicht damit auf, die Tür wieder
abzusperren. Wir gingen wieder in den Flur hinunter und von dort zu einer Tür
auf der linken Seite, die sich dem »Tanks«-Schlüssel öffnete.
Man roch sofort den Wein; ein warmes, rosiges, die
Luft erfüllendes Aroma wie ein Atemzug erdiger Früchte. Gerard hob verwundert
den Kopf, und für mich war es, als käme ich nach Hause.
»Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte er.
Ein kleiner Vorraum ging auf zwei langgestreckte
Hallen, die größere, zur Linken, enthielt eine Reihe von zehn gewaltigen runden
Tanks auf jeder Seite. Alle Tanks waren dunkelrot gestrichen, zweieinhalb Meter
hoch, einsachtzig im Durchmesser, und ruhten fünfzig Zentimeter über Bodenhöhe
auf dicken Backsteinsockeln. Jeder Tank hatte auf der Vorderseite
Anschlußstutzen zum Be- und Entladen, einen kleinen Prüfhahn, einen
Füllstandmesser und eine Halterung, in die man eine Karte mit der Angabe des
jeweiligen Inhalts stecken konnte.
»Die sind riesig«, sagte Gerard.
»Kenneth Charters Tankwagen bekämen vier davon
voll. Dieses Format faßt 5700 Liter. Es gibt noch größere.«
»Danke.«
Ich lächelte. »Schauen wir, was drin ist.«
Wir lasen die Inhaltskarten. Auf den meisten stand
LEER , die Uhren zeigten auf Null.
Die drei ersten Karten links vom Eingang besagten: » Keely Hauswein,
angeliefert 1. Oktober« und danach die nächste: » Dinzag Privat Cuvée, angeliefert
24. September.« Zwei benachbarte auf der anderen Seite besagten: » Linakket, angeliefert
10. September«; und alle in Anspruch genommenen Tanks waren nur dreiviertel
voll.
»Die stehen alle in den Bürounterlagen«, meinte
Gerard bedauernd.
»Versuchen wir’s mal mit den leeren«, sagte ich.
»Mengenanzeiger lassen sich abschalten.«
Ich begann am anderen Ende, davon ausgehend, daß
Paul Young, wenn er in Martineau seine Beute so weit wie möglich vom Eingang
gelagert hatte, in seinem eigenen Territorium genauso verfahren sein könnte –
und so war es. Die allerersten Tropfen, die mir auf die Finger rannen, als ich
den kleinen Prüfhahn aufdrehte, brachten den herben, ätherischen Geruch von
Scotch.
»Donnerwetter«, sagte ich. »Ich suche eine Flasche,
und wir nehmen eine Probe mit, wenn Sie möchten.«
»Später. Prüfen Sie die anderen.«
»Alle?«
»Ja.«
Ich drehte die Hähne an sämtlichen LEER-Monstern
auf, und wir fanden Scotch in fünf davon und Wein in drei. Es war unmöglich zu
bestimmen, wieviel Liter sie jeweils enthielten, doch das schien uns beiden
nicht wichtig. Der Wein ähnelte, soweit ich das vom Ablecken meiner Handfläche
her sagen konnte, unserem alten Freund Saint-Estèphe, und der Scotch war Rannoch, schon versetzt mit Leitungswasser. Gerard schaute aus wie eine
Katze in der Sahne, als ich mich nach Überprüfen des letzten LEER-Tanks (der tatsächlich
leer war) aufrichtete, und er meinte, wir hätten jetzt alles gesehen außer der
eigentlichen Abfüllanlage; wo die denn wohl sei?
»Den Schläuchen nach«, sagte ich.
Er blickte zu den drei oder vier Schläuchen, die am
Boden lagen, leichte, gefurchte graue Plastikschläuche gleich Riesenregenwürmern,
dick wie ein Handgelenk. Ein paar waren in Ringen übereinandergelegt, die anderen
ausgerollt, so daß sie zwischen den Tanks die ganze Länge des Raumes überspannten.
Ich sagte: »Diese Anschlüsse an den Schläuchen
passen auf die Stutzen an den Tanks. Ein Schlauch ist mit einem der sogenannten
leeren Tanks verbunden, in denen wir den Wein gefunden haben; sehen Sie? Der
Wein wird aus den Tanks in die Abfüllanlage gepumpt … um die Anlage zu
finden, geht man also den Schläuchen nach.«
Die Schläuche wanden sich um eine Ecke in eine
weitere breite Halle, welche diesmal nur zwei Tanks enthielt, beide mit
silberweißem Anstrich, höher, schlanker und mit mehreren senkrechten Rohren
versehen, die an ihren Seiten aufragten.
»Weißwein?« fragte Gerard verschmitzt.
»Nicht direkt. Das sind Kühltanks.«
»Und wozu sind die gut?«
Ich ging zu dem
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