Weinprobe
blickte nicht zur Brücke hoch.
Irgendwas, dachte ich: Irgendwas muß ich tun. Ich
hatte keine Waffe. Nichts. Gerard. Gips.
Was hatte ich denn …
Ich hatte Wissen.
Naylor versetzte Gerards Gesicht einen vollen
Schlag mit der Faust und band, als er ihn aus der Balance gebracht hatte, das
zweite Handgelenk an das Gitter. Obwohl ich dabei nur seinen Rücken sehen
konnte, war die Verzweiflung in Gerards Körper doch wie ein Schrei.
In Gedanken flehte ich: »Nein, tut es nicht, nein,
nicht …«, und Naylor wand die Bandage einmal um Gerards Hals.
Wissen.
Die Bandage ging zweimal, dann dreimal herum.
Naylor war auf sein Werk konzentriert. Ebenso Denny, den Rücken zu mir, den
Flintenlauf gesenkt.
Gerard trat nach hinten aus, ohne Naylors Beine zu
erreichen, schrie ihn an, kreischte, was er tue, sei sinnlos, zwecklos, Leute
wüßten, daß er hier sei, und würden nachsehen kommen.
Weder Naylor noch Denny glaubten ihm. Sie
konzentrierten sich – sie genossen – das Verpacken eines lebenden Kopfes …
um ihn in Stein zu verwandeln.
Die Waffe, die ich besaß, war Wissen.
Ich handelte. Meine Muskeln fühlten sich steif an.
Ruckweise glitt ich um den Tank herum, den ich auf Saint-Estèphe geprüft
hatte, und erstieg seine Leiter.
Brüll weiter, Gerard, dachte ich. Stopf weiter das
Hörgerät des Schwerhörigen. Tritt weiter. Halt ihre Blicke fest.
Meine Hände packten den Überwurf, der den Schlauch
mit dem Einfüllstutzen auf der Oberseite des Tanks verband. Normalerweise
konnte ich ihn leicht ohne Schraubenschlüssel drehen. Meine Hände rutschten vor
Schweiß. Ich mußte ihn aufkriegen. Die einzige Chance. Mußte den Schlauch vom
Tank abnehmen.
Mußte den Schlauch an diesem Ende freibekommen.
Auf dem Tank unternahm ich eine fast rasende
Anstrengung und merkte, wie der Überwurf sich drehte, wieder drehte und sich
löste. Ich hob den Schlauch vom Tank runter und trug ihn an der Öffnung die
kurze Leiter hinab, bemühte mich, dabei lautlos zu sein und verursachte kleine
Geräusche, die für mich furchtbar lärmten, aber keine bedrohlichen Rufe von
unten zur Folge hatten.
Ich war von der Leiter runter. War an der Pumpe.
Von der Pumpe ging der lange Hauptschlauch ins Erdgeschoß hinab und weiter
fort, zu dem großen Vorratstank in der Haupthalle. Ein langer Schlauch, der
eine ganze Menge Wein enthielt.
Ich drehte die Pumpe auf. Flehend. Betend. Elend.
Die Pumpe trat ruhig in Aktion, mit traumhafter
Wirkung. Wein schoß aus dem Schlauch, den ich festhielt, wie rotes,
druckgetriebenes Wasser aus einem Feuerwehrschlauch. Ich richtete ihn direkt
auf Naylor, wobei erst Denny durchnäßt wurde. Ich hakte die spritzende Mündung
am Geländer ein. Ich kletterte über das Geländer und wagte den fliegenden
Sprung, der so widersinnig, so unmöglich, so tödlich erschienen war. Ich landete
auf Denny, der vor lauter Wein nichts sehen konnte, entriß ihm seine Schrotflinte
und schlug sie ihm hart über den Kopf. Naylor versuchte völlig überrascht, mich
zu umklammern.
Ich empfand solchen Zorn auf ihn, daß er doppelt so
stark hätte sein müssen. Ich packte ihn an den Kleidern und stieß ihn unter den
herabspritzenden Wein, riß seinen Kopf an den Haaren zurück, daß ihm der Wein
voll aufs Gesicht prasselte, auf seine Brille, in seine Nase und in den sich
öffnenden Mund, bis er anfing zu ersticken.
Ich ertränke ihn, dachte ich.
Vielleicht sollte ich das nicht.
Er schnappte nach Luft. Fuchtelte mit den Armen
herum. Hilflos.
Halb zerrte, halb stieß ich ihn zurück zu der
Lattenkiste, an die Gerard gefesselt war, drückte ihn mit dem Brustkorb auf das
Gitter und nagelte ihn fest, indem ich mich gegen seinen Rücken stemmte.
Er war wirklich am Ersticken. Er atmete nicht.
Ich gab ihm einen sehr harten Schlag mit der
Innenhand unter die Schulterblätter, und die in seiner Lunge eingeschlossene
Luft durchbrach den Weinstau in der Luftröhre. Mit krampfhaften,
keuchhustenähnlichen Stößen begann er wieder zu atmen, wobei in allen Bronchien
die Luft gegen den Wein ankämpfte.
Er hatte den Gipsverband zu Gerards Füßen fallen
lassen. Ich hob die Rolle auf, naß, durchweicht und rötlich jetzt vom Wein, und
wickelte die Lagen um Gerards Kehle los.
Naylor hatte keine Schere gehabt. Der Verband ging
von Gerards Hals zu einem Handgelenk hinunter und von dort zu dem anderen.
Feste, unlösbare Knoten um beide Gelenke.
Etwas zum Schneiden, um ihn zu befreien.
Das alte stumpfe Taschenmeser. Ich kramte in
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