Weinprobe
versichert hin, versichert her –
genau diese Gläser sollte ich am nächsten Tag, dem Dienstag, für die Wein- und
Käseparty zur Aufbesserung des Weihnachtsfonds des Themse-Frauenvereins
anliefern. Das hatte ich glatt vergessen.
Zögernd rief ich bei den Hawthorns an, da ich Flora
zwar nicht überlasten, trotzdem aber fragen wollte, wie viele Gläser noch ganz
waren, und ich erwischte nicht Flora, sondern einen Anrufbeantworter mit Jimmys
Stimme, laut, gesund und träge, der mich bat, Name, Rufnummer und meine
Nachricht zu hinterlassen.
Ich entsprach dem Wunsch und hätte gern gewußt, wie
es Jimmy auf der Intensivstation erging. Als dann Mrs. Palissey wiederkam,
fuhr ich mit Brian zum Großhändler, wo er mir half, zig Kisten aus dem Lager
auf Karren zu verladen, sie am Kassenschalter von diesen Karren auf andere
umzuladen, diese anderen hinaus an den Lieferwagen zu schieben, den Lieferwagen
vollzuladen und, zurück im Geschäft, den Lieferwagen auszuladen. Meine Kräfte
konnten es nach rund zwölf Jahren solcher Gymnastik mit einem Gabelstapler aufnehmen,
und auch Brian entwickelte sich gut. Er grinste bei der Arbeit. Kisten heben
machte ihm Spaß. Zwei auf einmal verachtete er schon; er sah es gern, wenn ich
ihm drei auflud.
Brian redete nie viel. Ich wußte es zu würdigen.
Auf der Rückfahrt im Lieferwagen saß er friedlich neben mir, die Lippen
geöffnet wie üblich, und mich wunderte, was in diesem großen leeren Kopf wohl
vorging und wieviel man ihm beibringen könnte, wenn man sich Mühe gab. Er hatte
ziemlich viel in den rund drei Monaten gelernt, die er bei mir war, überlegte
ich. Er war hervorragend zu gebrauchen, verglichen mit dem ersten Tag.
Er lud den Wagen alleine aus, als wir zurückkamen,
und stellte alles an den richtigen Platz im Lagerraum, den ich seit seinem
Eintritt mit viel mehr Methode geordnet hatte. Mrs. Palissey hatte zwei
neue Bestellungen am Telefon entgegengenommen, und ich verbrachte einige Zeit
damit, diese und die früheren vom Tag zusammenzustellen, indem ich die Ware in
Kartons verpackte, die Brian raus zum Lieferwagen bringen sollte. Der Handel
mit Wein, dachte ich öfter, war keine sanfte ästhetische Beschäftigung, sondern
die reinste Knochenarbeit.
Das Telefon klingelte noch einmal, während ich im
Büro die Rechnungen schrieb, die mit den Bestellungen rausgehen sollten, und
ich griff, ohne von meiner Arbeit aufzuschauen, mit einer Hand nach dem Hörer.
»Tony?« sagte eine Frauenstimme zaghaft. »Hier ist
Flora.«
»Liebste Flora«, sagte ich, »wie geht es Ihnen? Wie
geht’s Jack? Wie geht es überhaupt?«
»Ach …« Sie schien unerträglich müde. »Es ist
alles so furchtbar. Ich weiß, ich sollte das nicht sagen … aber … ach je.«
»Ich komme die Gläser holen«, sagte ich, da ich
ihren unausgesprochenen Appell heraushörte. »Ich komme so gut wie sofort.«
»Es … es sind nicht mehr viele ganz …
aber trotzdem, kommen Sie.«
»In einer halben Stunde.«
Sie sagte leise: »Vielen Dank«, und hängte ein.
Ich sah auf meine Uhr. Halb fünf. Meistens brachen
Mrs. Palissey und Brian montags um diese Zeit mit dem Lieferwagen auf, um
Lieferungen auszuführen, die in etwa auf ihrem Heimweg lagen, und beendeten die
Runde dann am nächsten Morgen.
Mrs. Palisseys Fahrtüchtigkeit war
ursprünglich der Hauptgrund gewesen, warum ich sie eingestellt hatte, und sie
für ihren Teil hatte mit Freuden den Zweitwagen des Ladens, einen ältlichen
Rover Kombi, in Gebrauch genommen. Wir tauschten die Fahrzeuge je nach Bedarf,
daher sagte ich ihr, ich würde die Lieferungen für heute übernehmen, wenn sie
bis zum Ladenschluß um fünf dabliebe und wieder mit dem Rover heimführe.
»Selbstverständlich, Mr. Beach«, kam sie mir
huldvoll entgegen. »Und morgen früh bin ich dann um halb zehn hier.«
Ich nickte ein Dankeschön und verfügte die
Rechnungen, die Bestellungen, den Lieferwagen und schließlich mich bergauf zu
Jack Hawthorns Rennstall, wo sich seit dem Vortag nicht sehr viel geändert
hatte.
Als ich über den Hügel kam, sah ich, daß der große
grüne Pferdetransporter noch immer auf dem Rasen stand und hinter ihm, auf
einem Haufen, die Überreste des Festzeltes. Der Scheich war fort, ebenso seine
Leibgarde. Der stumme, blutverschmierte braune Mattenbelag war übersät mit
Klapptischen und Teilen von Zeltstangen, und dazwischen lagen im Schein der
späten Nachmittagssonne eine Million glitzernde Glasscherben.
Ich parkte wieder vor dem
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