Weinprobe
schnell veränderten, wie sie wuchsen.
»Lassen Sie nur«, sagte ich. »Wilson hat ja die
Adressen aller Ihrer Gäste. Er wird es herausfinden. Und seien Sie dankbar,
Flora. Wenn es das Kind von jemand anders war, das die Bremse gelöst hat, sind
Ihre Freunde Peter und Sally nicht ruiniert.«
»Ihr Kind war es nicht … sie haben keines.
Aber das arme Kerlchen!«
»Wenn alle vernünftig sind«, sagte ich, »was
natürlich ein frommer Wunsch ist, dann wird keiner ihm erzählen, daß er acht
Menschen umgebracht hat, bevor er längst erwachsen ist.«
Auf dem Heimweg von Flora kam ich über die zweite
Lieferung nicht hinaus, weil mein Kunde, ein Rechtsanwalt a. D., sagte, er sei
entzückt, daß ich ihm seine Bestellung selbst bringe, und ich müsse schleunigst
hereinkommen, um eine Flasche Château Palmer 1970 mit ihm zu teilen, die
er soeben entkorkt habe.
Ich mochte diesen Mann, der aufgrund zahlreicher
Urlaubsreisen, bei denen er Weinberge besichtigt hatte, wahrhaft bewandert war.
Folglich verbrachten wir einen angenehmen Abend, indem wir uns über die kleinen
Parzellen herrlicher Felder in Pauillac und Margaux unterhielten und über die
allgemeinen Vorzüge der großen Traube Cabernet Sauvignon, die fast
überall auf Erden hervorragend gedieh. Vorausgesetzt natürlich kargen Boden und
Sonne.
Die Frau des Anwalts war, wie sich herausstellte,
auf Besuch bei Verwandten. Der Anwalt schlug zu dem Claret kaltes, nicht
durchgebratenes Rindfleisch vor, dem ich in Gedanken an mein eigenes leeres
Haus gern zustimmte, und bestand außerdem darauf, zum späteren Genuß noch eine
Flasche Clos Saint-Jacques 1982 zu öffnen.
»Es kommt so selten vor«, entgegnete er auf meine
Einwände, »daß jemand hier ist, den ich an meiner Passion wirklich teilhaben
lassen kann. Meine gute Frau findet sich zwar mit mir ab, wissen Sie, aber
selbst nach all den Jahren würde sie einen kleinen gängigen Beaujolais genauso
wie einen anspruchslosen Mosel trinken. Heute abend, und bitte widersprechen
Sie mir nicht, mein Lieber, heute abend ist ein Fest.«
Das war es auch für mich. Ich trank meinen Teil von
dem Château Palmer und dem Clos Saint-Jacques, den ich erstmals
gekostet hatte, als ich ihn ihm ein Jahr zuvor verkaufte. Mit Freuden entdeckte
ich jetzt, daß eben dieser Wein zufriedenstellend seine Farbe änderte, von
jugendlichem Purpur auf ein volldunkles Burgunderrot hin, ebenso wie er an
Wucht und Eleganz zunahm. Er könnte noch besser werden, dachte ich, und der
Anwalt sagte, er würde ihn vielleicht noch für ein Jahr aufheben.
»Aber ich werde alt, mein Lieber. Ich möchte alle
meine Schätze trinken, verstehen Sie, bevor es zu spät ist.«
So gab ein Wort das andere, und es war fast
Mitternacht, bis ich fuhr. Alkohol verfällt im Blut im Verhältnis von einem
Glas Wein pro Stunde, dachte ich auf dem Heimweg. Wenn ich Glück hatte, mußte
ich nach sechs Gläsern in fünf Stunden von Rechts wegen also nüchtern sein.
Nicht, daß ich übertrieben moralisch gewesen wäre; aber um im Geschäft zu
bestehen, brauchte ich nun einmal den Führerschein.
Vielleicht wegen des Weins, vielleicht auch wegen
der unruhigen Nacht, die vorausgegangen war, schlief ich lange und tief, ohne
böse Träume, und fühlte mich, als ich am Morgen aufstand, besser als sonst in
der Lage, den neuen Tag anzugehen. Die Morgenstunden waren auf jeden Fall immer
besser als die Abende. Aufbrechen war so übel nicht; das Nachhausekommen war
die Hölle.
Meine Mutter hatte mir am Telefon geraten, alles zu
verkaufen und woanders zu wohnen.
»Du wirst da nicht mehr froh«, sagte sie. »Das
klappt niemals.«
»Du bist auch nicht umgezogen, als Papa starb«,
protestierte ich.
»Aber das Haus war schon immer meins«, sagte sie
erstaunt.
»Ererbter Familienbesitz. Was völlig anderes, Tony,
Liebling.«
Mir war nicht ganz klar, wo der Unterschied lag,
aber ich widersprach nicht. Ich dachte zwar, sie könnte schon recht damit
haben, daß ich umziehen sollte, aber ich tat es nicht. Alle meine Erinnerungen
an Emma waren lebendig in diesem alten renovierten Cottage am Themseufer, und
es zu verlassen schien gleichbedeutend mit einer Abkehr von ihr: der Gipfel der
Untreue. Ich dachte, wenn ich das Haus verkaufte, würde ich mich schuldig
fühlen, nicht befreit, daher blieb ich und ächzte nach ihr in den Nächten,
zahlte die Hypothek ab und fand keine Erleichterung.
Die Morgenlieferungen lagen weit verstreut, was
einen Haufen Zickzackwege bedeutete, doch das Liefern
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