Weinprobe
Lagerhaus. Die gestohlenen Ladungen kamen von
drei verschiedenen Stellen. Die letzte Fracht kam aus einem Lagerhaus nahe
Helensburgh in Dunbartonshire, aber sie ging dort auf dem normalen Weg raus,
und wir glauben nicht, daß da der Haken sitzt.«
»In der Abfüllfirma?« fragte ich.
»Wir wissen’s zwar nicht sicher, aber wir glauben
nicht daran. Der Hinweis auf das Silver Moondance erschien so schlüssig,
daß es für uns feststand, dort anzufangen.«
»Welcher Art war der Hinweis?« fragte ich.
Er antwortete nicht gleich, meinte aber
schließlich: »Ich glaube, das sagt Ihnen Kenneth Charter am besten selbst.«
»Okay.«
»Ich sollte wohl erklären«, sagte er kurz darauf,
»daß Firmen uns oft deshalb hinzuziehen, weil es Dinge gibt, die sie nicht
unbedingt der Polizei erzählen möchten. Unternehmen ziehen es beispielsweise
sehr häufig vor, Betrügereien stillschweigend aufzuklären. Sie wollen
keineswegs immer gerichtlich vorgehen, sie wollen nur, daß der Betrug aufhört.
Ein öffentliches Eingeständnis, daß man sich hat verladen lassen, kann peinlich
sein.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Kenneth Charter teilte mir vertraulich gewisse
Dinge mit, die er der Polizei oder der Zollbehörde nicht gesagt hat. Er möchte
seine Spedition am Leben erhalten, aber nicht um jeden Preis. Nicht, wenn der
Preis in persönlicher Beziehung zu hoch ist. Er war zwar dafür, daß ich Sie als
Berater hinzuziehe, aber ich stelle es doch ihm anheim, wieviel er Sie wissen
lassen möchte.«
»In Ordnung«, sagte ich ruhig.
Wir verließen die Schnellstraße, und Gerard begann
sich durch das halb vorstädtische Labyrinth nördlich von London
hindurchzufädeln, wo ein Ort ohne wahrnehmbaren Unterschied in den nächsten
übergeht.
»Sie sind ein Mensch, der wenig fordert«, bemerkte
Gerard nach einer Weile.
»Was sollte ich denn fordern?«
»Vielleicht Auskunft über die Höhe eines
Beratungshonorars. Bedingungen vielleicht. Garantien.«
»Das Leben ist wie das Wetter«, sagte ich gequält.
»Was kommt, das kommt. Auch wenn Schönwetter angekündigt ist, kann man naß
werden.«
»Ein Fatalist.«
»Es regnet. Man kann es nicht ändern.«
Er blickte mir fast zum erstenmal auf der Fahrt ins
Gesicht, aber ich bezweifle, ob es ihm viel Aufschluß gab. Ich hatte nicht
verbittert gesprochen, sondern mit einer Art Müdigkeit, die dem Unvermögen
entsprang, mit meiner privaten Sintflut fertigzuwerden. Ich interessierte mich
zwar schon für den gestohlenen Scotch und den Tankwagen, aber doch auf einer
äußeren, unbedeutenden Ebene, nicht innerlich, wo es darauf ankam.
Als ob er das spürte, sagte er: »Sie werden Ihr
Bestes für mich tun?«
»Wie es nun einmal ist«, versicherte ich ihm. »Ja.«
Er nickte, als wäre ein Zweifel fürs erste
beseitigt, und bog von der Straße in ein Industriegebiet ab, wo kleine Fabriken
wie frische Pilze aus dem Beton gesprossen waren. Die vierte zur Rechten trug
die Aufschrift »Charter Transport Ltd.« in großen roten Lettern auf einem
weißen Schild an der Vorderfront, während sich an der Seite, wie Ferkel unter
einer Sau, eine lange dichte Reihe von silbernen Tankwagen hinzog, die
Motorhauben einwärts, die Hecks nach außen.
9
Kenneth Charter
war nicht im entferntesten das, was ich erwartet hatte, nämlich ein stämmiger
Nordlondoner mit rohen Manieren. Der Mann, der uns in der Eingangshalle zur
Begrüßung entgegenkam, als wir die Haustüre aufstießen, war lang, dünn,
rothaarig und humorvoll, mit einem deutlich schottischeren Akzent als das
bißchen Hochland, das bei Gerard durchklang.
»Ist das der Berater?« sagte er höflich. Offenbar
sah er in meiner Jugend eher einen Grund zum Lachen als zur Besorgnis.
»Nicht gerade ein Graubart, was?« Er drückte mir
fest die Hand. »Dann kommen Sie mal rein. Und wie geht’s Ihnen heute,
Mr. McGregor?«
Er ging voran in ein eckiges, wenig anregendes Büro
mit beigen Wänden und wies uns zwei gradlehnige Stühle gegenüber einem breiten,
schmucklos modernen Schreibtisch zu. Es gab einen braunen strapazierfähigen
Teppichboden, eine Reihe grauer Aktenschränke, eine große gerahmte Karte von
den Britischen Inseln, und abgestandene Kälte erfüllte die Luft, was vielleicht
aber nicht unbedingt daran lag, daß es Sonntag war. Kenneth Charter schien es
nicht zu bemerken und äußerte sich nicht dazu. Ich hatte ihn in Verdacht, daß
er der schottischen Gewohnheit frönte, Komfort mit Sünde und Sparsamkeit mit
Tugend gleichzusetzen
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