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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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und zu glauben, daß Moralbewußtsein ausschließlich in
kühler Witterung gedeiht.
    Gerard und ich setzten uns auf die angebotenen
Stühle. Kenneth Charter nahm hinter dem Schreibtisch auf einem Drehstuhl Platz,
den er bedenkenlos nach hinten kippte.
    »Wieviel haben Sie diesem hochlöblichen Fachmann erzählt?«
fragte er und hörte sich ohne erkennbare Unruhe Gerards Zusammenfassung an.
    »Nun denn«, sagte er schließlich vergnügt zu mir.
»Sie werden wissen wollen, um was für eine Flüssigkeit es geht. Oder könnten
Sie’s erraten, Sportsfreund? Könnten Sie’s raten?«
    Seine tiefblauen Augen blickten merkwürdig herausfordernd,
und ich ging darauf ein. In Gedanken überschlug ich rasch, was ich bei Kunden
daheim schon so alles probiert hatte, suchte darunter ein Gegenstück zu meiner
Erinnerung aus der Bar des Silver Moondance und sagte auf einen instinktiven,
nicht von der Vernunft geleiteten Impuls hin: » Rannoch. «
    Charter blickte zynisch und sagte zu Gerard: »Sie
haben’s ihm gesteckt.«
    Gerard schüttelte den Kopf. »Habe ich nicht.« Er
sah selbstzufrieden aus. Sein Berater, so schien es, hatte sich auf Anhieb als
Trumpf erwiesen.
    »Ich habe es erraten«, sagte ich milde. »Ich
verkaufe die Marke. Ich habe sie schon öfter probiert. Es gibt auch nicht so
viele Whiskys, die en gros verfrachtet und in England abgefüllt werden. Rannoch … paßte einfach.«
    »Also schön.« Er öffnete eine Schublade in seinem
Schreibtisch und holte eine volle Flasche Rannoch- Whiskyhervor,
deren vertrautes Etikett eine imposante männliche Erscheinung in einem rotgelb
karierten Kilt schmückte. Das Siegel, bemerkte ich, war unversehrt, und Charter
traf keine Anstalten, daran etwas zu ändern.
    »Ein Weihnachtsgeschenk von der Abfüllerei«, sagte
er.
    »Letzte Weihnacht?« fragte ich.
    »Natürlich letzte Weihnacht. Dieses Jahr bekommen
wir doch keins, oder was meinen Sie?«
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte ich demütig. »Ich
meinte nur … das ist eine lange Zeit, dafür, daß die Flasche noch voll
ist.«
    Er lachte leise. »Ich trinke keinen Alkohol,
Sportsfreund. Zehrt am Verstand, löchert den Magen. Außerdem kann ich den
Geschmack nicht ausstehen. Wir brauchen jemanden wie Sie, weil ich diese
geklaute Ladung Feuerwasser noch nicht einmal erkennen würde, wenn sie sich in
meinem Gartenteich befindet.«
    Die Goldfische würden es ihm verraten, dachte ich.
Sie würden eingehen.
    »Haben Sie ein Profil von der Ladung?« fragte ich.
    »Ein was?«
    »Hm … ihre Zusammensetzung. Woraus sie
gemischt war. Sie könnten sicher von der Brennerei eine genaue Liste bekommen.
Das Profil ist eine Art chemische Analyse in Form eines Kurvenblattes …
sieht ein bißchen wie die Skyline von New York aus. Jeder Verschnitt hat eine
andere Skyline. Manchen Leuten ist das Profil wichtig … die Japaner führen
Scotch allein nach dem Profil ein, obwohl ein scheinbar vollendetes Profil
abscheulich schmecken kann. Jedenfalls sind Profile haargenau. Vergleichbar mit
Fingerabdrücken … viel ausgefeilter als etwa eine Blutprobe.«
    »Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Alkoholgehalt 58
Prozent betrug«, sagte Charter. »Dieselbe Stärke wie immer bei Rannoch. So
steht es auf der Urkunde.« Er holte aus einer Schublade eine Durchschrift der
Zollerklärung hervor und schob sie zu mir herüber. »Ich frage nicht, was in dem
Zeug drin ist, ich befördere es nur.«
    »Wir werden uns sofort um das Profil kümmern«, murmelte
Gerard.
    »Der Zoll hat wohl schon eins«, sagte ich. »Die
haben die Ausrüstung dafür. Einen Gas-Chromatographen.«
    Ich hatte das unangenehme Gefühl, daß Gerard fand,
ich hätte ihm früher von den Profilen erzählen sollen, aber es war mir nicht in
den Sinn gekommen.
    »Ich meine«, sagte ich, »wenn die sich eine Probe
von der Brennerei besorgt und sie mit der Probe verglichen haben, die die
Polizei aus dem Silver Moondance mitgenommen hat, dann dürften sie
irgendwie Bescheid wissen.«
    Stille trat ein. Schließlich räusperte sich Gerard
und sagte: »Vielleicht könnten Sie Tony erklären, wie wir auf das Silver
Moondance gekommen sind. Derzeit nämlich«, er sah mir ins Gesicht, »besteht
für den Zoll kein Grund, dieses Lokal mit dem entführten Tankwagen in
Zusammenhang zu bringen oder die Proben miteinander zu vergleichen. Man weiß
nichts von einer Verbindung.«
    Ich sagte reichlich unbestimmt »Oh«, und Kenneth
Charter blickte zur Decke, wobei er seinen Stuhl so weit nach hinten legte,

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