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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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daß
er wirklich hätte kippen müssen. Schließlich ließ er sein Gesicht mit einem
dumpfen Schlag nach vorn fallen und schoß einen vollen Strahl aus den blauen
Augen auf mich ab.
    »Schweigeversprechen, Sportsfreund«, sagte er.
    Ich blickte zu Gerard, der lässig nickte, als
gehörten solche Ansinnen zum geschäftlichen Alltag, was für ihn wohl auch
zutraf.
    »Schweigeversprechen«, sagte ich.
    Kenneth Charter nickte scharf mit seinem langen
Kopf, als ob er es für selbstverständlich hielt, daß Versprechen eingehalten
wurden; dann zog er einen Schlüsselbund aus der Tasche und schloß die
Mittelschublade seines Schreibtisches auf. Den Gegenstand darin brauchte er
nicht erst zu suchen. Er zog ein kleines, schmales schwarzes Notizbuch heraus
und legte es vor sich auf den Tisch, wobei seine von Natur aus schelmischen
Gesichtszüge sich eher grimmig strafften.
    »Sie können diesem Jungen vertrauen?« fragte er
Gerard.
    »Ich würde es meinen.«
    Charter seufzte, überwand sich und blätterte zu
einer Seite, deren müheloses Aufklappen von ständiger Benutzung zeugte.
    »Lesen Sie das«, sagte er und drehte das Notizbuch
so, daß ich hineinsehen konnte, hielt aber noch den Daumen darauf. »Das« war
eine lange Telefonnummer, beginnend mit 0735, der Kennziffer des Bereichs
Reading, an die sich eine zweizeilige Notiz anschloß.
    » Z sagen, daß UNP 786 Y B’s Gin Mo gegen 10 h abholt. «
    »Ich habe es gelesen«, sagte ich, ohne genau zu
wissen, was es sollte.
    »Können Sie damit was anfangen?«
    »Die Telefonnummer wird die vom Silver Moondance sein, und Z heißt Zarac?«
    »Richtig. Und UNP 786 Y ist das Kennzeichen
meines Tankwagens.« Seine Stimme war kalt und teilnahmslos.
    »Ich verstehe.«
    »Bei Berger’s Gin ist er um 10 Uhr 15,
morgen vor einem Monat, aufgebrochen. Er fuhr nach Schottland, entlud den Gin,
wurde in Glasgow ausgespült und holte in Fairleys Lagerhaus bei Helensburgh in
Dunbartonshire den Scotch ab. Am Mittwoch morgen fuhr er dort los. Mittwoch
abend kam er nicht in der Abfüllerei an. Am Donnerstag morgen parkte er, wie
wir wissen, vor einem Fernfahrercafe am Rand von Edinburgh, aber identifiziert
wurde er erst freitags, da die Nummernschilder ausgewechselt worden waren. Die
Zollfahndung hat ihn beschlagnahmt, und wir haben ihn noch nicht zurückgekriegt.«
    Ich blickte zu Gerard und dann wieder auf Kenneth
Charter.
    »Und Sie wissen es«, sagte ich langsam, »Sie
wissen, wer die Notiz geschrieben hat.«
    »Ja, allerdings«, sagte er. »Mein Sohn.«
    Überaus heikel, wie Gerard angedeutet hatte.
    »Hm …« sagte ich in dem Bemühen, meine Frage
ebenso neutral vorzubringen, wie Charter selbst klang. »Was sagt denn Ihr Sohn
dazu? Weiß er, wo die Fracht aus dem Tankwagen geblieben ist? Denn … äh …
siebenundzwanzigtausend Liter Scotch sind ja so leicht nicht zu verstecken, und
das Silver Moondance würde die dreifache Menge nicht mal in sechs Jahren
los, geschweige denn in sechs Monaten … Sie verstehen?«
    Die blauen Augen wurden womöglich noch stechender.
»Ich habe nicht mit meinem Sohn gesprochen. Er ist vor zwei Wochen nach
Australien in Urlaub gefahren, und für die nächsten drei Monate rechne ich
nicht mit ihm.«
    Mir schien, daß in dieser Feststellung ein Moment
von Genugtuung mitschwang. Der Verrat seines Sprößlings betrübte ihn weniger,
als daß er ihn peinlich fand. Ich lächelte ihn, ohne nachzudenken, leise an,
und zu meiner Überraschung grinste er breit zurück.
    »Sie haben recht«, sagte er, »von mir aus kann der
kleine Dreckskerl da unten bleiben. Ich versuche ihn jedenfalls nicht nach
Hause zu holen. Ich möchte nicht, daß er angeklagt, verurteilt und vielleicht
ins Gefängnis geworfen wird. Auf keinen Fall will ich einen Knast schiebenden
Sohn, der die ganze Familie in Verlegenheit stürzt. Seine Mutter zum Weinen
bringt, seiner Schwester die Hochzeit im nächsten Frühjahr verdirbt, die
Chancen seines Bruders auf einen Rechtstitel über den Haufen wirft. Wenn ich
hier verkaufen muß, gut, dann tue ich das. Mir wird genug bleiben, um was Neues
anzufangen. Aber da hört der Schaden auf, den dieser Saukerl stiftet. Ich lasse
nicht zu, daß er der Familie noch übler mitspielt.«
    »Nein«, sagte ich langsam. »Wann, sagen Sie, ist er
nach Australien gefahren?«
    »Gestern vor zwei Wochen, Sportsfreund. Ich habe
ihn selbst nach Heathrow gebracht. Als ich nach Hause kam, fand ich im Auto dieses
Notizbuch auf dem Boden. Es war ihm aus der Tasche gefallen.

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