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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Geistesgestört.
Jedenfalls, eines Tages wartete er auf mich, vor dem Büro. Kam einfach über den
Gehsteig und schoß mir in die Brust.« Er seufzte. »Sein Gesicht vergesse ich
nie. Hämischer Triumph … ganz irre.«
    »Was ist aus ihnen geworden?« fragte ich gebannt.
    »Der Vater pendelt zwischen Gummizellen hin und
her. Was aus dem Sohn geworden ist, weiß ich nicht, aber er müßte längst wieder
aus dem Gefängnis sein. Traurig eigentlich. So ein gescheiter junger Mann.
Stolz und Freude seines Vaters.«
    Ich war interessiert. »Versuchen Sie immer
herauszufinden, wie es den Leuten hinterher ergeht … die Sie fangen?«
    »Nein, nicht oft. Im großen und ganzen sind sie
eitel, habgierig, herzlos und verschlagen. Mir liegt nichts an ihnen. Sie
können einem zwar leid tun, aber meine Sympathien sind normalerweise auf seiten
der Opfer.«
    »Nicht wie in dem alten Witz«, meinte ich.
    »Welcher alte Witz?«
    »Von dem Mann, der Dieben in die Hände fällt, die
ihn zusammenschlagen, berauben und ihn blutig und bewußtlos im Rinnstein
liegenlassen. Kommen zwei Soziologen vorbei, gucken auf ihn runter, wie er
daliegt. Sagt der eine zum anderen: ›Der Mann, der das getan hat, braucht
unsere Hilfe.‹«
    Gerard lachte leise, schnitt ein Gesicht und hielt
die freie Hand auf seine Schulter.
    »Sie dürfen nicht glauben«, sagte er, »daß meine
Vorgeschichte normal ist. Ich hatte Pech. Sonst ist aus unserer Firma nur noch
ein Mann mal verwundet worden. Und die meisten Polizisten, wohlgemerkt,
bestehen ihre gesamte Laufbahn unverletzt.«
    Einige nicht, dachte ich.
    »Ihr Pech in diesem Fall«, entschuldigte ich mich,
»ist meine Dummheit gewesen.«
    Er schüttelte steif, weil behutsam den Kopf.
»Machen Sie sich keine Vorwürfe. Ich bin aus eigenem Antrieb wieder in den Hof
gefahren. Lassen wir’s dabei bewenden, ja?«
    Ich dachte dankbar, wie großzügig er war, fühlte
mich aber dennoch schuldig. Absolution hatte ich schon immer für faulen Zauber
gehalten. Irren ist menschlich; wird einem ohne weiteres vergeben, ist das ein
sentimentaler Freibrief für weitere Irrtümer. Zuviel Nachsicht zerstört die
Seele. Wenn ich Glück hatte, dachte ich, würde ich nicht noch mehr tun, was
Gerards Vergebung erforderte.
    Das Wort »anständig«, fand ich, beschrieb Gerard am
treffendsten. Als Detektiv war er nicht »interessant«, wie man das aus Romanen
kennt, nämlich ein Frauenheld, unrasiert und versoffen. Güte, so leicht sie
wahrzunehmen ist, entzieht sich der Definition wie Quecksilber, aber diese
schwierigste aller Tugenden war in seinen markanten Gesichtszügen lebendig.
Ernst, ruhig, rational, schien er frei von den kleinen Verrücktheiten zu sein,
die so manchen plagen: das herrische Vergnügen an einem bißchen Macht, die
selbstsüchtige Aufgeblasenheit, die verzehrende Angst der Unsicheren. Lauter
Eigenschaften, die ich täglich nicht nur bei Kunden erlebte, sondern bei
Leuten, denen andere sich anvertrauen mußten, bei Beamten und Akademikern aller
Art. Genau weiß man es nie: Gerard gab sich vielleicht unzähligen geheimen
Sünden hin und hielt sein zweites Ich verborgen; doch was ich sah, gefiel mir.
    Ich erzählte ihm, wie Brian den Einkaufszettel der
Diebe gefunden hatte, und gab ihm eine der Fotokopien aus meiner Tasche, mit
der Erklärung, daß er sehr wahrscheinlich von der Hand Paul Youngs stammte.
    »Großer Gott«, sagte er, als er ihn las.
»Genausogut hätte er ein Geständnis unterschreiben können.«
    »Mm.«
    »Aber es ist verständlich, wieso die Einbrecher
eine schriftliche Liste brauchten«, sagte er. »Lauter französische Namen. Da
mußten sie eine Vergleichsmöglichkeit in der Hand haben. Sie konnten sonst
nicht sicher sein, daß sie das Richtige mitnehmen.«
    »Es sei denn, sie hätten die betreffenden Etiketten
genau gekannt.«
    Gerard blickte von der Liste auf. »Sie meinen also,
die Männer, die den Einbruch verübt haben, sind nicht die Urheber des
Schwindels.«
    »Wenn sie es wären, hätten sie die Liste
gebraucht?«
    »Stimmt.« Er lächelte ein wenig. »Wie würden sie Ihnen
als die Mörder von Zarac gefallen?«
    Ich klappte den Mund auf und wieder zu. Als der
kurze Schreck dann vorbei war, schüttelte ich langsam und unentschieden den
Kopf.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Sie waren ruppig …
aber da war ein Moment, als der Größere die Flinte aus dem Lieferwagen geholt
hat, wo er auf mich anlegte und sichtlich zögerte. Wenn er schon mitgeholfen
hätte, Zarac um die Ecke zu

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