Weinprobe
wieder verschnitten mit irgendwas
Greifbarem. Unmöglich, die Herkunft zu erkennen, würde ich meinen, auch für
einen Weinspezialisten. Er ist leicht. Nicht viel Körper. Keine Rasse. Aber
durchaus angenehm. Schmackhaft. Für untrinkbar würde ihn niemand halten. Wo
immer er herstammt, er wurde nicht allzusehr mißhandelt vor dem Abfüllen.«
»In Bordeaux abgefüllt …«, sagte er
nachdenklich.
»Wenn es das Château nicht gibt, kann der Wein
überall abgefüllt worden sein«, sagte ich. »Ich habe den Korken aufgehoben. Er
sieht ziemlich neu aus und ist nicht beschriftet.«
Die sechs Korken standen in einer Reihe auf dem
Schreibtisch vor mir, alle identisch. Wenn Châteaus ihren Wein in den eigenen
Kellern abfüllen, drucken sie ihren Namen und den Jahrgang auf die Korken.
Jeder, der einen Wein aus schloßeigener Abfüllung bestellt, kann sich den
Korken ansehen, deshalb würde ein Schwindler sein Werk eher nicht als
Schloßabfüllung präsentieren. Das Risiko war zu groß, daß ein eingeweihter
Kunde merkte, was er da bekam.
Wer immer die Silver-Moondance- Etikettenausgesucht
hatte, er hatte gut gewählt: lauter bekannt klingende, ehrbare Namen, alle zu
stattlichen Preisen verkäuflich. Bei bloßer Schätzung hatte der Wein an sich,
als Teil der großen europäischen Weinschwemme, den Abfüller vielleicht ein
Fünfzigstel dessen gekostet, was Larry Trents Gästen dafür berechnet worden
war.
Ich fragte Henri Tavel, wann ich noch einmal
anrufen könnte.
»Morgen abend, wieder um diese Zeit. Ich werde mich
morgen früh sofort erkundigen.«
Ich dankte ihm vielmals, und wir hängten ein, und
ich stellte ihn mir vor, wie ich ihn so oft gesehen hatte: rundlich, an dem
großen Eßtisch mit der Spitzendecke sitzend, allein bei einem Glas Armagnac
nach dem Abendbrot, anstatt seiner Frau beim Fernsehen Gesellschaft zu leisten.
Flora holte mich wie verabredet am nächsten Tag um
eins vom Laden ab und fuhr mit mir in Jacks Prachtschlitten zu den Rennen in
Martineau. Sie redete auf dem größten Teil der Strecke, offenbar aus
zwanghafter Nervosität, und schärfte mir vor allem ein, worüber ich mit Orkney
Swayle – dem Besitzer, von dem sie sich eingeschüchtert fühlte – nicht reden
durfte.
Flora, fand ich, brauchte sich von niemandem
einschüchtern zu lassen. Sie besaß Status in der Rennwelt, sie bot den
erfreulichen Anblick einer mütterlichen Frau in mittleren Jahren, und sie war
mit Schneiderkostüm und offensichtlich teuren Schuhen dem Anlaß entsprechend
gekleidet. Selbstvertrauen muß jedoch von innen kommen, und in Floras Innerem
sah es nach einer kraftlosen, schwabbeligen Masse aus.
»Fragen Sie ihn nicht, warum er Orkney heißt«,
sagte sie. »Er ist da gezeugt worden.«
Ich lachte.
»Ja, aber es paßt ihm nicht. Der Name selbst
gefällt ihm, weil er etwas Vornehmes hat, wonach er immer strebt, und, lieber
Tony, wenn Sie so ein bißchen vornehm sein können, so wie Jimmy, dann liegen
Sie bei Orkney ganz richtig. Sprechen Sie in Ihrer besten Oberschicht-Manier,
wie Sie das manchmal tun, wenn Sie in Gedanken sind, denn ich weiß, daß Sie’s
im Laden ein bißchen abdämpfen, um nicht lauter Leute einzuschüchtern, wenn Sie
verstehen, was ich meine.«
Ich war belustigt, aber auch betroffen über ihre
Wahrnehmung. Schon an meinem ersten Tag als fegendes, lastentragendes Faktotum
in einer Weinhandlung hatte ich erkannt, daß meine Stimme nicht den
Verhältnissen angemessen war, und mich entsprechend umgestellt. Dabei kam es,
wie ich herausfand, in erster Linie darauf an, die Worte nicht tief in der
Kehle zu bilden, sondern oben im Gaumen, eine Umkehrung der Art und Weise, die
ich gerade so mühsam gelernt hatte, nämlich Französisch zu sprechen wie ein
Franzose.
»Ich werde meine beste Jimmy-Imitation hinlegen«,
versprach ich. »Wie geht es ihm übrigens?«
»Gott sei Dank schon viel besser.«
Ich sagte, das freue mich.
»Orkney glaubt, er habe Jack für sich gepachtet«,
sagte sie, auf das Thema zurückkommend, das ihr unmittelbar am Herzen lag. »Er
haßt es, wenn Jack mit anderen Besitzern redet.« Sie nahm vor einem Platz mit
Kreisverkehr das Tempo weg und seufzte. »Manche Besitzer sind entsetzlich
eifersüchtig, auch wenn ich das wohl nicht sagen sollte, aber Orkney schnappt
leicht ein, wenn Jack in ›seinem‹ Rennen noch ein anderes Pferd starten läßt.«
Sie fuhr gekonnt und mechanisch, in Gedanken weit
weg von der Straße. Sie erzählte mir, daß sie Jack normalerweise zu
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