Weinprobe
auf den neuesten Stand, was die unerschöpflichen und für
gewöhnlich widerwärtigen Leiden seiner Familie anbelangte. (Der Schwiegervater
hatte es an der Blase.)
Sung Li erschien mit einer Verbeugung, um mir
Frühlingsrollen zu überreichen. Er wolle für das Essen am Vorabend nicht
bezahlt werden, sagte er. Ich sei ein geschätzter und häufiger Kunde. In der
Not sei ich sein Freund. Ich würde ihm Ehre erweisen, wenn ich ihm für gestern
kein Geld anbot. Wir verbeugten uns voreinander, und ich war einverstanden.
Er hatte China nie gesehen, doch seine Eltern waren
dort geboren und hatten ihn die alten Bräuche gelehrt. Er war ein überaus
korrekter Nachbar, und weil sein fabelhaft gehendes Schnellrestaurant keine
Schankkonzession hatte, verkaufte ich abends viel Wein. Wann immer ich es
konnte, ohne ihn zu kränken, schenkte ich ihm Zigarren, die er an sonnigen
Nachmittagen auf einem Lehnstuhl draußen vor seiner Küchentür rauchte.
Um drei kam Sergeant Ridger mit einer Papiertüte
wieder, aus der er eine Flasche hervorholte und auf die Theke stellte.
Saint-Estèphe, ganz wie gewünscht. Unverkorkt und mit
Klebeband versiegelt, unangerührt seit ihrem Auszug aus dem Silver
Moondance.
»Kann ich sie behalten?« sagte ich.
Er nickte kurz mit dem Kopf. »Vorläufig. Ich sagte,
Sie wären hilfsbereit gewesen, und nun könnten wir Ihnen hiermit helfen. Der
Chefinspektor, der die Ermittlungen im Silver-Moondance -Mordfall leitet,
gab mir die Erlaubnis.« Er griff in seine Tasche, zog ein Blatt Papier hervor
und hielt es mir hin. »Bitte unterschreiben Sie diesen Schein. Dann ist es
amtlich.«
Ich unterschrieb das Papier und gab es ihm wieder.
»Ich habe auch etwas für Sie«, sagte ich – und
holte ihm den Einkaufszettel der Diebe. Das Original.
Sein Körper schien förmlich zu schwellen, als er begriff,
was es war, und mit hell strahlenden Augen blickte er auf.
»Wo haben Sie das entdeckt?«
Ich erzählte ihm von Brian und dem Aufräumen.
»Das ist von großer Bedeutung«, sagte er
befriedigt.
Ich stimmte ihm zu. Ich sagte: »Es wäre besonders
interessant, wenn das die Handschrift von Paul Young ist.«
Sein Blick wurde wenn möglich noch schärfer.
»Als er seinen Namen und die Adresse aufschrieb«,
sagte ich, »erinnern Sie sich, wie komisch er dabei den Stift hielt? Er schrieb
mit kurzen, spitzen Abwärtsstrichen. Mir scheint, daß die Liste hier ähnlich
aussieht … obwohl ich seine Anschrift natürlich nur sehr kurz gesehen
habe.«
Sergeant Ridger, der sie lange und eingehend
betrachtet hatte, starrte jetzt auf den Einbrecherzettel und verglich beides im
Geiste. Fast atemlos sagte er: »Ich glaube, Sie haben recht. Ich glaube, die
stimmen überein. Der Chefinspektor wird sich sehr freuen.«
»Im übrigen Fehlanzeige?« tippte ich an. »Sie
können ihn nicht finden?«
Sein Zögern war kurz. »Es gibt da bestimmte
Schwierigkeiten«, sagte er.
Überhaupt keine Spur, diagnostizierte ich.
»Und sein Wagen?« tippte ich an.
»Welcher Wagen?«
»Ja … nun, er wird doch an dem Tag nicht zu
Fuß ins Silver Moondance gekommen sein, oder? Es ist meilenweit von
allem weg. Als wir aber die Kiste mit den Getränken rausbrachten, stand kein
zusätzlicher Wagen auf dem Parkplatz. Also … hm … muß er auf der
Rückseite geparkt haben, wo die Wagen des Personals standen. Hinten an der Tür
zu der Lobby, wo Larry Trents Büro und die Weinkeller sind. Also muß Paul Young
schon mal im Silver Moondance gewesen sein. Sonst hätte er vorne
geparkt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Detective Sergeant Ridger blickte mich langsam und
ausführlich an. »Woher wissen Sie denn, daß das Personal auf der Rückseite
geparkt hat?«
»Ich sah Autos durch das Flurfenster, als ich die
Flaschen mit dem Wein holen ging. Die Vermutung lag nahe, daß es sich um die
Wagen des Personals handelte … Barmann, Stellvertreter, Kellnerin,
Küchenpersonal und so fort. Sie mußten ja alle irgendwie zur Arbeit kommen, und
der vordere Parkplatz stand leer.«
Er erinnerte sich und nickte.
»Paul Young ist noch geblieben, nachdem wir weg
sind«, sagte ich. »Vielleicht entsinnt sich also der Stellvertreter oder die
Kellnerin … oder sonst jemand … mit was für einem Wagen er
weggefahren ist. Immerhin denkbar.«
Ridger legte den zusammengefalteten Einkaufszettel
sorgfältig hinten in sein Notizbuch und schrieb dann ein oder zwei Sätze auf
eine neue Seite. »Ich leite zwar diese Untersuchung nicht«, sagte er
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