Weinprobe
den
Meetings fuhr; daß er es liebte, auf dem Hinweg zu lesen und nachzudenken und
auf dem Rückweg zu schlafen. »So ungefähr die einzige Gelegenheit, wo er mal
stillhält, also muß es ihm guttun.«
»Wie alt ist dieser Orkney?« fragte ich.
»Geht auf die Fünfzig, glaube ich. Er produziert
irgendwelche furchtbar unaussprechliche Unterwäsche, aber was es genau ist,
behält er für sich. Er redet darüber nicht gerne, mein Lieber.« Sie kicherte
fast. »Schnürkorsetts, was meinen Sie?«
»Ich werde mich hüten, ihn zu fragen«, sagte ich
ironisch.
»Schnürkorsetts! Werden sie denn überhaupt noch
getragen außer von Urgroßmüttern?«
»Man sieht sie manchmal samstags in diesen
Kleinanzeigen in der Zeitung«, sagte Flora, »zusammen mit Sachen, die einem die
Schultern straffen, wenn man krummschultrig ist, und mit Summern für jeden, nur
keinen bestimmten Zweck, und allem möglichen erstaunlichen Zeug. Kennen Sie das
nicht?«
»Nein«, sagte ich lächelnd.
»Ich denke manchmal an die Leute, die all diese
Sachen kaufen«, sagte sie. »Wie verschieden unser Leben so ist.«
Ich blickte in ihr gütiges rundes Gesicht und
dachte nicht zum erstenmal, daß der Inhalt dessen, was sie sagte, sehr viel
pointierter war als ihre Art, es zu sagen.
»Ich habe Ihnen doch erzählt, mein Lieber, daß
Orkney eine Loge auf dem Rennplatz hat? Da gehen wir also hin, wenn wir
ankommen, und nach dem Rennen dauert’s natürlich noch ewig; der findet kein
Ende. Wahrscheinlich hat er eine Frau dabei … Ich sage Ihnen das bloß,
weil sie nicht seine Angetraute ist, mein Lieber, und er hat es auch nicht
gern, wenn man sich danach erkundigt, also fragen Sie bitte keinen von beiden,
ob sie verheiratet sind, ja?«
»Es gibt aber furchtbar viel, worüber er nicht gern
redet«, sagte ich.
»O Gott, ja, er ist sehr schwierig, aber wenn Sie
sich an Pferde halten, klappt es schon. Das ist das einzige, worüber er gern
redet, und er wird es den ganzen Abend tun, und genau das kann ich natürlich
nicht, wie Sie wissen.«
»Sonst noch Fettnäpfchen, in die ich treten
könnte?« fragte ich. »Religion, Politik, Krankengeschichten?«
»Aber Tony, jetzt ziehen Sie mich doch auf …«
Sie bog in die Einfahrt von Martineau Park, wo der Mann an der Kasse sie
erkannte und freundlich durchwinkte. »Vergessen Sie nicht, daß sein Pferd
Breezy Palm heißt. Es ist ein zweijähriger Hengst und in dieser Saison neunmal
gestartet, wovon er zweimal gewonnen hat, und einmal ist er aus den Boxen
ausgebrochen und hat fast den Hilfsstarter exekutiert, also gehen Sie darauf
lieber auch nicht zu sehr ein.«
Sie parkte den Wagen, stieg aber nicht sofort aus,
sondern setzte erst einen Hut auf, der ihr gut stand, und balancierte ihn im
Rückspiegel aus.
»Ich frage Sie nicht, wie es Ihrem Arm geht, Tony«,
sagte sie, »denn es ist ganz offensichtlich, daß er Ihnen weh tut.«
»Tatsächlich?« sagte ich etwas bestürzt.
»Wenn Sie ihn bewegen, mein Guter, zucken Sie zusammen.«
»Ach.«
»Ginge es mit einer Schlinge nicht besser?«
»Am besten, man benutzt ihn, würde ich meinen.«
Die gütigen Augen schauten zu mir her. »Wissen Sie
was, lieber Tony, ich glaube, wir gehen zum Erste-Hilfe-Raum und besorgen uns
so eine schmale schwarze Armbinde, wie sie die Hindernisjockeys nehmen, wenn
sie sich was gebrochen haben. Dann brauchen Sie keinem die Hand zu schütteln –
mir fiel auf, daß Sie das bei Tina gestern vermieden haben –, und die Leute
werden Sie nicht anrempeln, wenn sie sehen, daß man es nicht darf.«
Sie machte mich sprachlos. Wir gingen zum
Sanitätsraum, wo sie mit Hilfe einer Mischung aus Charme und Zähnefletschen das
Gewünschte bekam, und ich ging dankbar, aber auch etwas belemmert wieder mit
hinaus.
»So ist es besser, mein Lieber«, sagte sie nickend.
»Jetzt können wir rauf zu Orkneys Loge fahren …« Die Entschlossenheit vom
Erste-Hilfe-Raum verließ sie völlig. »Herrje … ich komme mir immer so dumm
und unbeholfen bei ihm vor, wie ein Kind auf der Schulbank.«
»Sie haben Haltung, haben Stil«, sagte ich
wahrheitsgemäß, »und können es hier mit jedem aufnehmen. Begraben Sie alle
Zweifel.«
Ihre Augen indessen waren voll davon, und als wir
mit dem Lift zur vierten Etage fuhren, nahm die Nervosität ihr den Atem.
Die Tribünen von Martineau Park gehören zu den
besten des Landes. Sie waren alle im gleichen Zeitraum entworfen und erbaut
worden, nicht etappenweise im Zuge von Modernisierungsprogrammen, wie das
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