Weinprobe
bei
so vielen Bahnen der Fall ist. Als die alte Tribüne etwa um 1950 baufällig
geworden war, hatte man beschlossen, das Ganze abzureißen und neu aufzubauen,
und obgleich man an Windkanälen herumnörgeln konnte (offenbar gibt es
Architekturschulen, die keine Ahnung haben von einfachster Physik), waren die
kostensparenden Desaster manch anderer Plätze vermieden worden. Man kann
beispielsweise, wenn man will, die Rennen fast überall unter Dach und im Sitzen
verfolgen und hinterher in Bars feiern, die für den Ansturm auch groß genug
sind. Eine beheizte (oder gekühlte) Galerie mit Glasfront überblickt den
Führring, und ein Dach über den Absattelplätzen (wie in Aintree) ermöglicht es
den Leuten, sich im Trockenen auf den Rücken zu klopfen.
Die beiden langen Reihen hochgelegener Logen
erreichte man über gedeckte Korridore, durch die, als wir aus dem Lift stiegen,
Kellnerinnen Servierwagen mit Speisen schoben; etwas ganz anderes als in Ascot,
wo sie mit Tabletts durch offene Gänge stolpern und das Gebäck im Wind
davonfliegt. Martineau ist eigentlich schon fast zu komfortabel, um britisch zu
sein.
Flora sagte. »Hier entlang«, und ging mir voll
böser Ahnungen voran. Orkney Swayle, dachte ich, konnte gar nicht so
einschüchternd sein, wie sie ihn hinstellte.
Die Tür seiner Loge stand offen. Flora und ich
erreichten sie gemeinsam und schauten hinein. Ein Sideboard, das nicht gerade
unter Essen und Getränken ächzte, stand an der Wand. Drei kleine Tische mit
dazugehörigen Stühlen nahmen den Rest der Bodenfläche ein, Glastüren führten
weiter zum Aussichtsbalkon. Rechts von der Eingangstür ein kleiner
Anrichteraum, sauber und aufgeräumt. Orkneys Loge lud im Gegensatz zu manchen,
die wir passiert hatten, nicht zum Lunch ein.
Ein Mann saß allein an einem der Tische, den Kopf
über eine Rennzeitung und den Rennkalender gebeugt, einen Stift schußbereit zum
Notieren.
Flora räusperte sich, sagte bebend: »Orkney?« und
wagte drei zögernde Schritte in die Loge. Der Mann am Tisch wandte ohne Eile
mit fragend erhobenen Augenbrauen den Kopf. Selbst als er Flora sah und sie
offensichtlich erkannte, ließ er sich mit dem Aufstehen Zeit. Er schaffte es
schließlich, aber so, als wäre die höfliche Geste etwas, das ihm nachträglich
eingefallen war, keine spontane Begrüßung.
Er war groß, blond, trug eine Brille über
hellblauen Augen und lächelte widerstrebend.
»Das ist Tony Beach, Orkney«, sagte Flora.
Orkney besah mich ruhig von oben bis unten, an der
Schlinge hielt sein Blick kurz inne. »Jacks Assistent?« fragte er.
»Nein, nein«, sagte Flora, »ein Freund.«
»Guten Tag«, sagte ich in meiner besten
Jimmy-Manier und erhielt dafür ein Nicken, was Flora zu erleichtern schien,
obwohl sie immer noch dazu neigte, von einem Fuß auf den anderen zu treten.
»Jack bat mich, Ihnen mitzuteilen, daß der
Futtermeister ihm Gutes über Breezy Palm berichtet hat«, sagte sie
tapfer.
»Ich habe selbst mit Jack gesprochen«, erwiderte
Orkney. Nach einem merklichen Zögern setzte er hinzu: »Möchten Sie was
trinken?«
Ich spürte, daß Flora im Begriff war abzulehnen,
deshalb sagte ich, gedehnt wie Jimmy: »Ja, warum nicht?«, denn eine Stärkung
war gerade vielleicht das, was Flora brauchte.
Orkney blickte unbestimmt auf das Sideboard, auf
dem eine Flasche Gin stand, eine Flasche Scotch, ein Sortiment von Zutaten und
mehrere Gläser. Er nahm ein leeres Glas, das schon auf dem kleinen Tisch
gestanden hatte, ging damit zum Sideboard und streckte die Hand nach einer Flasche Seagram’s aus.
»Gin und Tonic, Flora?« bot er an.
»Das wäre nett, Orkney.«
Flora kaufte bei mir Gin, um ihn ihren
Besitzer-Gästen vorzusetzen, machte sich aber selbst nicht viel daraus. Unruhig
schaute sie zu, wie Orkney zwei Fingerbreit eingoß und sie mit Tonic knapp
verdoppelte.
»Eis? Zitrone?« fragte er und fügte beides hinzu,
ohne eine Antwort abzuwarten. Wahrend er ihr das Glas gab, sah er mich an. »Und
Sie ehm … für Sie das gleiche?«
»Scotch«, sagte ich. »Sehr freundlich.«
Es war Teacher’s, beste Qualität. Er
schenkte die zwei Finger ein, ließ seine Hand zwischen Ingwerbier und Soda
schweben, zog die Brauen hoch.
»Pur«, sagte ich. »Kein Eis.«
Die Brauen gingen höher. Er gab mir das Glas, verschraubte
den Whisky und griff für sich selbst auf den Gin zurück. Zweieinhalb Finger
breit. Sehr wenig Tonic. Zwei Stücke Eis.
»Auf das Glück«, sagte ich und nahm einen Schluck.
»Auf …
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