Weinprobe
Saint-Estèphes vorsetzen … Cos d’Estournel,
Montrose, Calon-Ségur … aber das hier ist ein guter Cru Bourgeois … sehr viel Körper und Kraft.«
»Glaube ich Ihnen aufs Wort«, sagte er
liebenswürdig. »Ich wünsche mir oft, ich würde mehr von Wein verstehen.«
»Lassen Sie sich öfter blicken.«
Ich kostete die beiden Weine selbst, für mich schon
alte Bekannte. Die Silver-Moondance- Lesehatte das Öffnen und
Wiederverschließen recht gut vertragen, aber nachdem ich jetzt die zweite Probe
aus der Flasche gegossen hatte, würde der Rest bald zerfallen. Wein, der
vollkommen bleiben soll, muß mit dem Korken in Berührung sein. Je mehr Luft in
der Flasche, desto größeren Schaden richtet sie an.
Ich zeigte ihm die beiden Flaschen, die echte wie
die falsche, und teilte ihm mit, was Henri Tavel über Fälschungen zu sagen
gehabt hatte.
Er hörte aufmerksam zu, überlegte eine Weile und
sagte dann: »Weshalb erscheint der gefälschte Wein Ihnen wichtiger als der
gefälschte Whisky? Denn das tut er doch, oder?«
»Genauso wichtig. Beide gleich.«
»Warum also?«
»Weil …«, begann ich, und wurde auch schon
unterbrochen von einer Reihe Kunden, die wissen wollten, was man Preiswertes
zu Sung Lis knuspriger Ente, seinen Peking-Garnelen und zu Rindfleisch in
Austernsauce trinken könnte. Gerard hörte mit Interesse zu und beobachtete, wie
sie einer nach dem anderen mit ihren Flaschen Bergerac, Soave und Côtes
du Ventoux fortgingen.
Er sagte: »Sie verkaufen nicht nur Wein, sondern
auch Wissen, nicht wahr?«
»Ja. Und Vergnügen. Und menschlichen Kontakt.
Alles, was man in einem Supermarkt nicht bekommt.«
Ein dicker Mann mit wäßrigen Augen bahnte sich
schwankend einen Weg in den Laden und verlangte laut nach Bier, und ich
verkaufte ihm das Gewünschte ohne Zögern. Er zahlte unbeholfen, rülpste, machte
sich wieder auf den Zickzackweg; und Gerard blickte finster seinem
entschwindenden Rücken nach.
»Der war betrunken«, sagte er.
»Klar.«
»Ist Ihnen das egal?«
»Solange sie sich nicht im Laden übergeben.«
»Das ist unmoralisch.«
Ich grinste ein wenig. »Ich verkaufe auch die
Möglichkeit zu flüchten.«
»Vorübergehend«, monierte er, und es klang
schottisch streng.
»Vorübergehend ist besser als nichts«, sagte ich.
»Nehmen Sie ein Aspirin.«
Er gab einen Laut zwischen Husten und Lachen von
sich.
»Davon ernähren Sie sich wohl seit Sonntag?«
»Ja, so ziemlich.« Ich schluckte wieder zwei mit
etwas Saint-Estèphe, an sich eine gelinde Ketzerei. »Ich bin voll und
ganz fürs Flüchten.«
Er warf mir einen trockenen Blick zu, den ich
zunächst nicht verstand, und erst mit Verspätung fiel mir mein Vorstoß in den
Hof ein.
»Na ja … solange man nicht bei mir einbricht.«
Er nickte sarkastisch und wartete, während ich zwei
weitere Kunden bediente und mit einem dritten darüber diskutierte, ob Sauternes mit Lammkoteletts zusammenpasse, was nicht der Fall war; beides würde
scheußlich schmecken.
»Was paßt denn zu Sauternes? Ich mag Sauternes. «
»Alles Süße«, sagte ich. »Auch vielleicht Curry.
Oder Schinken. Auch Schimmelkäse.«
»Du liebe Zeit«, sagte Gerard, als er gegangen war,
»Schimmelkäse zu süßem Wein … wie seltsam.«
»Das macht Wein- und Käsepartys ja erst schön.«
Er schaute sich im Laden um wie in einer neuen
Welt. »Gibt es irgendwas, wozu man Wein nicht trinken kann?« sagte er.
»Was mich betrifft … Grapefruit.«
Er verzog das Gesicht.
»Und das von einem«, sagte ich, »der Wein zu
gebackenen Bohnen trinkt … der sich quasi die Zähne damit putzt.«
»Sie lieben ihn wirklich?«
Ich nickte. »Die Magie des Zufalls.«
»Was denn?«
»Daß die Hefe auf Weintrauben den Zucker des Traubensaftes
in Alkohol verwandelt. Daß das Ergebnis köstlich ist.«
»Heiliger Himmel …«
»Niemand hätte das erfinden können«, sagte ich. »Es
ist nun mal so. Ein Geschenk an den Planeten. Elegant.«
»Aber es gibt doch lauter verschiedene Weine.«
»Na klar, weil es verschiedene Traubensorten gibt.
Aber eine Menge Sekt wird aus schwarzen Trauben hergestellt … der Schein
kann trügen, was Ihnen als Detektiv ja gefallen müßte.«
»Hm«, meinte er trocken. Sein Blick schweifte über
die Regale voller Flaschen. »Was mir als Detektiv gefällt, sind Beweise. Wie
zum Beispiel weist man die Stärke alkoholischer Getränke nach?«
»Wenn Sie eine Flüssigkeit mit Schießpulver mischen
und entzünden, und sie brennt mit ruhiger blauer
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