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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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ausgelöst
durch ein sogenanntes Aneurysma. Das heißt, in ihrem Gehirn ist eine Ader
geplatzt.«
    »Aber …«, sein Blick glitt zu ihrem Foto, »…
wie alt war sie denn?«
    »Siebenundzwanzig.«
    »So jung.«
    »Anscheinend kann das in jedem Alter passieren.«
    »Es tut mir sehr leid.«
    »Sie war schwanger«, sagte ich und überraschte mich
selbst damit. Normalerweise sagte ich das nicht. Normalerweise sagte ich nur
das allermindeste. Aber bei Gerard hörte ich mich, nach Monaten des Schweigens,
nach und nach alles erzählen; wollte es und wollte es nicht, bemühte mich, eine
ruhige Stimme zu bewahren und nicht zu weinen … um Himmels willen heul
nicht.
    »Sie hatte schon seit einer Ewigkeit immer wieder
Kopfschmerzen. Dann bekam sie Rückenschmerzen. Nichts Spezifisches. Einfach nur
Schmerzen im Rückgrat. Alle führten es auf ihre Schwangerschaft zurück. Und es
klang ab … bis zum nächsten Mal. Jede Woche ungefähr, so ein bis zwei
Monate. Eines Sonntags, als sie schon im sechsten Monat war, wachte sie wieder
mit diesen Kopfschmerzen auf, diesmal war es ziemlich schlimm. Sie nahm ein
paar Aspirin, aber die haben nie viel genützt. Im Lauf des Vormittags wurde es
schlimmer, und als ich zur Mittagszeit in den Laden fuhr, sagte sie, sie würde
ins Bett gehen und es ausschlafen. Aber als ich zurückkam, heulte sie …
stöhnte sie … vor Schmerzen. Ich versuchte einen Arzt zu rufen … aber
es dauerte ewig … es war Sonntagnachmittag … Sonntag … ein
Krankenwagen kam sie schließlich holen, aber bis dahin bettelte sie mich an …
flehte mich an, ich solle sie doch irgendwie bewußtlos schlagen … ja, wie
konnte ich denn? Ich konnte es nicht. Wir waren beide entsetzt … mehr als
erschrocken … es war so unerbittlich … im Krankenwagen stand sie
furchtbare Qualen aus … bearbeitete ihren Kopf mit den Fausten … ich
konnte nichts tun … nicht mal festhalten konnte ich sie … sie schrie
und wälzte sich zuckend vor Schmerzen. Am Ende der Fahrt verlor sie langsam das
Bewußtsein, und ihretwegen war ich froh, obwohl ich inzwischen befürchtete …
nun, ich hatte Angst.«
    »Mein Lieber.«
    Ich saß eine Weile da, blickte zurück in die
Vergangenheit, schluckte dann und erzählte ihm kalt das übrige.
    »Sie war vier Tage lang im Koma, immer tiefer …
Ich blieb bei ihr. Sie erlaubten es. Sie sagten, sie könnten das Baby nicht
retten, dafür sei es zu früh. Einen Monat später vielleicht … Sie sagten
mir, das Blutgefäß müsse schon eine Ewigkeit undicht gewesen sein … das
Blut, das in ihr Gehirn und in ihre Rückenmarknerven sickerte, habe die Kopf-
und Rückenschmerzen verursacht … aber selbst wenn das Problem früher
erkannt worden wäre, hätte man nicht viel dagegen tun können … eines Tages
wäre es doch weiter aufgeplatzt … also war es vielleicht besser, daß wir
es nicht wußten.«
    Ich brach ab. Keine Tränen. Das einzige, was ich
jetzt nicht hätte ertragen können, war Mitleid, und Gerard bot keines an.
    »Das Leben ist äußerst unfair«, sagte er ruhig.
    »Ja.«
    Er sagte nicht, ich würde darüber hinwegkommen,
oder die Zeit wirke Wunder. Er sagte nicht, ich würde eine andere Frau finden.
Eine neue Ehe eingehen … Ich schätzte Gerard immer mehr.
    »Danke, daß Sie es mir erzählt haben«, sagte er.
    »Ich tu’ das sonst nicht«, sagte ich
entschuldigend.
    »Nein. Flora hat es mir gesagt. Sie verschließen
sich, meinte sie, wenn irgend jemand fragt.«
    »Flora plappert.«
    »Plappern tut mitunter gut.«
    Ich schwieg. Was ich empfand, nachdem ich ihm von
Emma erzählt hatte, war eine Art Befreiung. Plappern half. Mitunter.
    Er trank seinen Brandy aus und erhob sich zum
Gehen.
    »Wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie an.«
    »Okay.«
    Er ging auf die Tür zu, hielt aber vor einem
Seitentisch an, auf dem drei oder vier gerahmte Fotos zwischen Emmas
Muschelsammlung standen. »Ihre Mutter?« fragte er, indem er die berittene Dame
mit Hunden aufhob. »Sehr apart.«
    »Mutter«, nickte ich.
    Er stellte sie hin. Ergriff ein anderes. »Vater?«
    »Vater.«
    Er schaute auf das markante, amüsierte Gesicht über
der Oberstenuniform mit ihrer Doppelreihe von Ordensbändern, auf das Licht in
seinen Augen und die Haltung des Kinns, auf den entschlossenen, halb lächelnden
Mund.
    »Sie sind wie er«, sagte Gerard.
    »Nur vom Aussehen.« Ich wandte mich ab. »Ich mochte
ihn sehr, als ich klein war. Vergötterte ihn. Er starb, als ich elf war.«
    Er stellte die

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