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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Aufnahme hin und sah sich die
anderen an.
    »Keine Geschwister?«
    »Nein.« Ich grinste. »Meine Geburt warf eine ganze
Jagdsaison über den Haufen. Einmal sei genug, fand meine Mutter.«
    Er warf mir einen Blick zu. »Es stört Sie nicht?«
    »Nein, noch nie. Alleinsein hat mich nie gestört,
bis ich mich an etwas anderes gewöhnte.« Ich zuckte abrupt die Achseln.
    »Im Grunde kann ich ganz gut allein sein. Ich werde
es auch wieder können.«
    Gerard nickte bloß und ging weiter, hinaus auf den
Flur und von dort durch die Küche zur Hintertür, wo wir uns wegen der Armbinden
nicht die Hand gaben.
    »Ein äußerst produktiver und interessanter Abend«,
sagte er.
    »Ich bin gern in Ihrer Gesellschaft.«
    Er schien nahezu überrascht. »Ja? Wieso?«
    »Sie erwarten nicht zuviel.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel ehm … chinesischen Imbiß auf den
Knien.« Es war nicht das, was ich wirklich meinte, doch es würde genügen.
    Er gab einen unübersetzbaren Laut aus tiefer Kehle
von sich, da er die Ausflucht in meiner Antwort hörte und nicht damit
einverstanden war. »Ich erwarte mehr, als Sie denken. Sie unterschätzen sich.«
Er lächelte sardonisch. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Er fuhr fort, und ich schloß ab und ging zurück
durchs Haus, um das Geschirr zu holen und in die Spülmaschine zu stellen. Ich
dachte daran, wie ich ihm gesagt hatte, daß ich mich allein ganz wohl fühle,
und hörte in der Erinnerung, in den Stimmen der Kunden, wie sie über die Jahre
zusammengekommen waren, die Seufzer und die Traurigkeit der Hinterbliebenen.
Sie sprachen von der gemeinsamen Erfahrung, die für jeden einzelnen von neuem
schrecklich war. Zwei Jahre, sagten sie, würde es dauern. Zwei Jahre, bis die
Sonne schien. Nach zwei Jahren würde der verlorene Mensch zur Erinnerung, der
Verlust selber erträglich. Ich hatte ihnen zugehört, lange bevor ich meinte,
ihrer Weisheit zu bedürfen, und ich glaubte ihnen immer noch. Trauer war
unausweichlich, aber sie würde vergehen.
    Ich räumte unten fertig auf und ging hinauf ins
Bett, in das Zimmer, in dem Emma und ich uns geliebt hatten.
    Ich schlief noch dort. Sie schien oft merkwürdig
nah zu sein. Manchmal wachte ich frühmorgens auf und streckte unwillkürlich die
Arme nach ihr. Ich hörte den Nachhall ihres Kicherns im Dunkeln.
    Wir hatten Glück in der Liebe gehabt, uns
leidenschaftlich ergänzt, für beide gleich befriedigend. Ich erinnerte mich vor
allem an ihren flachen Bauch, ihre leicht gewölbten Brüste, entsann mich der
Jahre reinen Vergnügens, ihrer unbändigen Orgasmen, der jähen, unglaublichen
Ekstase der Ejakulation. Sich daran zu erinnern war besser.
    Das Zimmer war jetzt still. Keine unsichtbare
Gegenwart. Kein ruhelos schwebender Geist.
    Wenn ich mit Gespenstern lebte, dann waren sie in
mir: Emma, mein Vater und die titanische Gestalt meines Großvaters, des
unwahrscheinlich Tapferen. Sie lebten in mir, mich zwar nicht verdammend, aber
ohne Trost anzubieten. Ich kämpfte unentwegt darum, mit ihnen ins reine zu
kommen, denn schaffte ich das nicht, ging ich unter, aber alle drei warfen sie
lange Schatten.
    Die Schwangerschaft könnte Emmas Blutdruck zuletzt
erhöht haben, hatte man mir gesagt. Das sei recht verbreitet. Der erhöhte
Blutdruck habe dann die undichte Stelle zu stark beansprucht, sie weiter aufgehen
lassen … zu weit.
    Die Schwangerschaft selbst, hieß das, hatte den Ausschlag
gegeben für ihren Tod. Zwar hatten wir uns beide Kinder gewünscht, doch mein
Samen hatte sie umgebracht.

15
     
    Als ich am nächsten Morgen den Laden
aufschloß, überlegte ich, was ich Sergeant Ridger im Tausch gegen eine
Kostprobe von dem Silver-Moondance- Scotch anbieten könnte,
und er selber löste das Problem, indem er fast sofort an meiner Tür erschien,
wie als wäre er auf telekinetischem Wege herbeizitiert worden.
    »Morgen«, sagte er, als ich ihn einließ. Gegürteter
Regenmantel, blankpolierte Schuhe, gebürstetes Haar. Hatte er noch nicht
gehört, daß Zivilfahnder heutzutage schmuddelige Jeans tragen und wie
arbeitslos aussehen?
    »Guten Morgen«, grüßte ich zurück und schloß die Tür
hinter ihm. »Kann ich Ihnen was verkaufen?«
    »Informationen.« Er war ernst, wie immer, trat in
die Mitte des Ladens und baute sich dort breit, mit auseinandergestellten Füßen
auf.
    »Aha. Ja, dann schießen Sie mal los.«
    »Ist Ihr Arm schlimmer geworden? Sie hatten doch
keine Schlinge, als ich letztes Mal da war.«
    »Nicht schlimmer.« Ich schüttelte den

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