Weinprobe
fort, und auf
die halbe Minute pünktlich um halb zehn traf Mrs. Palissey mit Brian ein.
Ich erklärte, daß ich eine Zeitlang jeden Mittag weg sein würde, und versprach
ihr, bis morgen eine Hilfe zu besorgen, wenn sie nur diesen Vormittag allein
zurechtkäme.
»Hilfe?« Sie war beleidigt. »Ich brauche doch keine
Hilfe.«
»Aber Ihre Mittagspause …«
»Ich bringe unseren Lunch mit, und wir essen
hinten«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß sich Fremde hier einmischen. Brian
und ich kümmern uns um alles. Fahren Sie mal ruhig und gönnen sich was, Sie
sehen immer noch schlecht aus.«
Ich wollte eben sagen, daß ich nicht zum Vergnügen
für die Polizei arbeite, aber dann kam mir der Gedanke, daß ich es
wahrscheinlich doch deswegen tat. Ich hatte ganz ohne Zögern Ridgers – oder
Wilsons – Einladung angenommen. Es schmeichelte mir, daß man mich für einen
Fachmann hielt. Beklagenswerte Eitelkeit. Lach über dich, Tony. Bleib ein
Mensch.
Eine Stunde lang füllten wir zu dritt die Regale
auf, schrieben Listen, nahmen telefonische Bestellungen entgegen, bedienten
Kunden, fegten und wischten Staub. Ich blickte zurück, als ich mit Ridger
losfuhr: Ein sauberer, gemütlicher, einladender Ort, wo Mrs. Palissey
hinter der Theke lächelte und Brian mit banger Sorgfalt Weinkartons ordnete.
Ich war kein Reichsgründer, dachte ich. Ich würde nie ein Kettenunternehmen
starten. Dieser eine blühende Ort reichte aus.
Und er blühte, das wußte ich, wider Erwarten. Eine
ganze Menge kleiner Geschäfte wie meins waren eingegangen bei dem Versuch, mit
Ladenketten und Supermärkten zu konkurrieren, jenen Giganten, die in so
grimmige Niedrigpreisschlachten verstrickt waren, daß sie sich um ihre letzten
Gewinne brachten. Ich hatte auch so angefangen, schon bald Geld dabei eingebüßt
und meine Position entgegen allem, was in dieser Branche geglaubt und geraten
wird, dadurch wiederhergestellt, daß ich auf faire, nicht selbstmörderische
Preise zurückgriff. Die Verluste hatten aufgehört, meine Kunden waren nicht
weggelaufen, sie hatten sich vervielfacht, und ich konnte anfangen, das Leben
zu genießen anstatt nachts schweißgebadet aufzuwachen.
Ridger hatte die Flasche Bell’s im Wagen
mitgebracht; sie stand aufrecht auf dem Rücksitz, im selben Karton, in dem sie
das Silver Moondance verlassen hatte, und wie damals noch dreiviertel
voll.
»Ehe wir fahren«, sagte ich, »nehme ich den Whisky
mal mit in den Laden und koste ihn dort.«
»Warum nicht hier?«
»Der Wagen riecht nach Benzin.« Ein Glück, dachte
ich.
»Ich habe frisch getankt. Was spielt das für eine
Rolle?«
»Benzingeruch überdeckt Scotch.«
»Ach so. In Ordnung.« Er stieg aus, nahm den Karton
heraus und schloß methodisch die Türen ab, obwohl das Auto direkt vor dem Laden
stand und wunderbar vom Fenster aus zu sehen war; dann brachte er den Karton
hinein und stellte ihn auf die Theke.
Beiläufig zog ich mein Handgelenk aus der Schlinge,
nahm die Bell’s- Flasche und ging damit nach hinten, ins Büro. Mit ein
oder zwei klimpernden Geräuschen goß ich einen guten Schluck durch einen
Trichter in ein sauberes Fläschchen, das ich bereitgestellt hatte, und danach
ein wenig in ein Glas. Das Fläschchen hatte einen Schraubverschluß, den ich in
der Hast verkantete, aber es war zu und im Handumdrehen mitsamt dem Trichter
hinter Karteikästen versteckt. Ohne Eile ging ich zurück in den Laden, wo ich
nachdenklich an dem Glas nippte, den rechten Arm wieder abgestützt.
Ridger kam mir schon entgegen. »Ich soll diese
Flasche nicht aus den Augen lassen«, sagte er.
»Entschuldigen Sie.« Ich gestikulierte mit dem
Glas. »Sie steht bloß auf dem Schreibtisch im Büro. Vollkommen sicher.«
Er lugte in die Nische, um sich zu vergewissern,
und drehte sich nickend wieder um. »Wie lange brauchen Sie?«
»Nicht lange.«
Die Flüssigkeit in meinem Mund war eindeutig Rannoch. Außer daß …
»Was ist los?« wollte Ridger wissen; und mir wurde
klar, daß ich die Stirn gerunzelt hatte.
»Nichts«, sagte ich mit zufriedener Miene. »Wenn
Sie wissen möchten, ob ich ihn wiedererkennen werde – doch, das werde ich.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Warum lächeln Sie denn?«
»Sergeant«, sagte ich ärgerlich, »das ist hier eine
Zusammenarbeit, kein Verhör. Holen wir die Flasche und bringen die Sache in
Gang.«
Ich fragte mich, ob Sergeant Ridger sich jemals
Freunde schuf; ob seine mißtrauische Art ihn je ruhen ließ. Mir kamen nach all
unseren
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