Weinrache
sich als schwarze Fläche der Anzug an der Garderobe ab. Der Minimalismus dieser Wandgestaltung lief Sundermanns Geschmack offensichtlich entgegen.
»Wenn Sie wünschen, peppe ich Ihr tristes Büro ein wenig auf«, bot er zuvorkommend an. »Die richtigen Farben an die Wände, witzige Regale, etwas spritziges Design. Keine Angst, das muss gar nicht teuer werden.«
Was um alle Welt verband einen raubeinigen Typen wie ihn mit Farbgestaltung und Design? Mit derselben Überzeugungskraft hätte er seine Dienste als Damenfriseur anbieten können.
»Werden Sie Geschäftsführer bei einem Raumausstatter?«
Er lachte vergnügt. »Nein, aber warum eigentlich nicht? Auch wenn Skeptiker wie Sie mir ein gestalterisches Talent nicht zutrauen. Tatsächlich wäre ich beinahe Architekt geworden.«
»Wieso haben Sie es vermasselt?«
»Davon erzähle ich Ihnen in epischer Breite, wenn ich von Ihnen weiß, warum Sie von der Polizei abgehauen sind.«
Darauf konnte er lange warten! Norma hockte sich auf den Schreibtisch. Ihre Zehenspitzen tippten auf den Fliesenboden.
Er hatte das Yogabuch entdeckt und fischte es vom Schreibtisch. »Eine Anleitung für Anfänger? Machen Sie nur! Yoga sammelt die inneren Kräfte.«
Normas Zehen hielten auf halbem Weg inne. »Finger weg!«
Mit einem Lächeln befolgte er ihren Befehl. Er legte das Buch zurück und nahm den Anzug vom Haken. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
Norma hob die Füße an und ließ die Beine baumeln. »Schon gut. Die Kaffeeflecken gehen auf meine Rechnung. Haben Sie über die Fahrt in der Nacht zum Samstag nachgedacht?«
»Wie gesagt, mir ist auf der Strecke nichts weiter aufgefallen.« Sorgfältig faltete er den Anzug zusammen. »Ich muss jetzt los, wenn ich den Bus erreichen will.«
»Was ist mit Ihrem Auto passiert?«
Er legte sich den gefalteten Anzug über den Arm. »Ein Fahrer hat mir die Vorfahrt genommen. Dem Kombi konnte ich ausweichen. Dem Baum nicht. Pech.«
»Haben Sie den Fahrer angezeigt?«
»Wozu?«, meinte er. »Ohne Autonummer. Ohne Zeugen.«
»Lassen Sie den Wagen nicht reparieren?«
Er neigte den Kopf. »Das lohnte sich nicht bei der alten Kiste. Der BMW ist mittlerweile durch die Schrottpresse gewandert. Ein Bekannter hat einen Ersatzwagen für mich, aber darauf muss ich noch ein paar Tage warten.«
Wo er denn wohne?, fragte sie scheinheilig.
»Wenige Kilometer hinter Taunusstein«, erklärte er. »Man fährt die Hühnerstraße in Richtung Limburg hinauf.«
Norma sprang auf die Füße. »Dann waren Sie in jener Nacht auf dem Heimweg? Ich bringe Sie nach Hause!«
Er hob abwehrend die Hände. »Das kann ich nicht annehmen.«
Norma zog den Schlüsselbund aus der Schublade. »Vielleicht fällt Ihnen unterwegs doch etwas ein! Und wenn es nur ein winziges Detail ist. Eine Kleinigkeit vielleicht, die Ihnen vorher nicht wichtig erschien.«
Sie eilte zur Tür und schaute sich auffordernd um. »Können wir?«
Er zögerte. »Sie machen sich ernsthafte Sorgen um Ihren Mann. Was glauben Sie, ist mit ihm geschehen?«
»Ich weiß es nicht«, gab Norma offen zu. »Helfen Sie mir? Versuchen Sie es wenigstens?«
»An mir soll es nicht liegen«, murmelte er und folgte ihr nach draußen.
15
Der Ford Fiesta stand im Innenhof. Er stand in der Nische zwischen der blauen Altpapiertonne und der mit Wildem Wein überwucherten Pergola, in dessen Schatten Norma gemeinsam mit ihrer Vermieterin so manche Flasche Bordeaux geleert hatte. Eva war über die Ferien zu ihrem Kölner Freund gefahren. Vermutlich reisten beide inzwischen durch Frankreich, Evas Leidenschaft. Sie konnten unbesorgt fortfahren. Norma hütete Haus und Kater, und für den Notfall hatte sie Evas Handynummer. Sie startete den Motor. Sundermann hielt das Hoftor auf und legte den Anzug auf die Überlebenskiste auf dem Rücksitz, bevor er neben Norma Platz nahm. Sie kurbelte das Seitenfenster herunter. Die Hitze staute sich im Wagen.
»Vorsicht mit dem Hebel!«, warnte sie, als er die Lehne verstellen wollte.
Sundermann folgte ihrem Rat und begnügte sich mit der eingestellten Sitzposition. Mit den kräftigen Fäusten auf den Knien schaute er schweigsam geradeaus, als Norma in die Rheingaustraße einbog. Sie erlaubte sich einen Blick auf das gemächlich strömende Wasser und das dunstige Grün des Wäldchens auf der Rettbergsaue im Hintergrund, bevor sie den Wagen in den Verkehr einfädelte.
»Mögen Sie den Rhein?«
»Ich mag den Fluss dort, wo er seiner Natur entspricht«, entgegnete Sundermann
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