Weinrache
arbeiten.
»Melde dich, wenn du die Antwort bekommst«, bat er zum Abschied und schrieb eine Telefonnummer auf einen Bierdeckel.
Norma dankte ihm für die Hilfe. Sie bestellte ein zweites Mineralwasser und betrachtete die Aufnahmen. Möglicherweise war die Frau nur eine unwissende Botin, überlegte Norma. Trotz der Verhüllung kam sie ihr bekannt vor.
Eine halbe Stunde später saß sie im Büro und übertrug die Bilddateien in den Computer. Der aufgemalte Leberfleck und die überpinselten Lippen hatten sie eine Weile verwirrt, aber schließlich glaubte sie zu wissen, wen Tiri fotografiert hatte. Sie traute Diane Fischer eine Reihe von Bosheiten zu. Aber eine Entführung? Niemals im Alleingang, urteilte Norma. Nicht ohne einen Helfer, wer auch immer das sein mochte. Einer der Liebhaber? Oder Arthur selbst! Norma durfte nicht ausschließen, dass Arthur das schmutzige Spiel mitspielte, um an sein eigenes Geld zu kommen, das für ihn auf einem anderen Weg nicht erreichbar wäre. War er untergetaucht, weil er etwas zu verbergen hatte? Den Mord an Moritz Fischer? Sie wusste nicht mehr, was sie glauben sollte.
Die halbe Nacht lag sie wach und erwog alle denkbaren Varianten, ohne eine überzeugende Lösung zu finden. Nachdem sie endlich eingeschlafen war, schreckte sie von einem lauten Knall auf. Sie stand auf, ohne Licht zu machen, und hielt durch das Dachfenster Ausschau. Wie um zwei Uhr nachts nicht anders zu erwarten, lag die Uferpromenade im Dunkeln, und nur ein einsamer Wagen fuhr über die Rheingaustraße in Richtung Schierstein davon. Hatte sie geträumt? Angestrengt lauschte sie in die Nacht hinein. Waren da Schritte im Hof zu hören? Sie beugte sich vor. Nichts als nächtliche Stille dort unten und das vertraute Rauschen von zwei, drei Autos auf der Straße.
Sie legte sich wieder ins Bett. Und wenn jemand verletzt war? Ein betrunkener Fahrer, der eine Mauer gerammt hatte? Mit diesen Gedanken würde sie bestimmt keinen Schlaf finden. Widerstrebend schaltete sie das Licht ein und griff nach der Jeans. Sie streifte einen Pullover über und fuhr in die Sandalen. Dann schnappte sie sich den Schlüsselbund und stieg die Treppe hinunter.
Vor der Haustür war nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Im schmalen Sträßchen parkten die Wagen in einer wohl geordneten Reihe. Norma zuckte zusammen, als sie gegenüber Schritte hörte, erkannte gleich darauf den alten Mann mit dem grauen Mischling. Das Paar begegnete ihr öfter auf ihren Spaziergängen im Biebricher Schlosspark. Der Hund schnaufte angestrengt, und der Mann ließ sich an der Leine voranziehen, ohne Norma zu beachten. Sie wollte wieder nach oben gehen, als ihr doch etwas auffiel: Das Tor zum Innenhof war nur angelehnt. War Eva aus Köln zurückgekommen und hatte vergessen, es zu schließen? Jetzt wäre die Taschenlampe von Nutzen, aber die Lampe lag im Wagen, und der Wagen stand im Hof. Norma lauschte. Alles war still. Wachsam näherte sie sich dem Tor. Ihre Augen hatten sich der Dunkelheit angepasst. Das Schloss war aufgebrochen; keine Herausforderung bei diesem einfachen Schloss, das nur den alten Fiesta, Evas Blumenkübel und die Mülltonnen zu schützen hatte. Der enttäuschte Eindringling war vermutlich über alle Berge. Vorsichtshalber zog Norma das Tor leise auf und lauschte aufmerksam. Sobald sie hindurchpasste, schlüpfte sie in den Hof und schlug gegen den Lichtschalter an der Wand. Das Licht flammte auf und leuchtete jeden Winkel aus. Kein Mensch war zu entdecken. Doch irgendjemand, fahruntüchtig oder sturzbetrunken, hatte tatsächlich versucht, den Fiesta zu stehlen, war mit seiner Beute allerdings nur bis zur Hauswand gekommen. Der Aufprall hatte die Schnauze zusammengedrückt, und die Haube wölbte sich mit einem scharfen Knick wie ein Dach über den Motor.
Norma schob das Tor zu und kehrte in die Wohnung zurück. Sie sah keinen Sinn darin, noch in der Nacht die Polizei zu rufen, und wartete damit bis zum Morgen. Um acht Uhr betraten zwei uniformierte Beamte den Hof und begutachteten das Wrack mit belustigten Mienen, wie Norma zur Kenntnis nehmen musste. Er habe in seiner Dienstzeit eine Reihe dümmlicher Diebe erlebt, meinte der ältere Polizist und unterdrückte sein Schmunzeln nur mühsam. Aber dass sich zur Dämlichkeit noch eine solche Ungeschicklichkeit gesellte, sei ein einsamer Höhepunkt.
»Das mag ein bemerkenswertes Ereignis für Sie sein«, erwiderte Norma säuerlich. »Aber ich stehe nun ohne Auto da.«
Der Fiesta war ein
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