Weinstrassenmarathon
zur Seite glitten, stand Hellinger im Paradies. Jedenfalls deutete Röder den Ausdruck im Gesicht seines Freundes so. »Mach den Mund zu.«
Röder konnte nicht behaupten, dass er sich unwohl fühlte. Aber das Balzgehabe seines Freundes teilte er nicht. Er stürzte sich auch nicht so begeistert in das Getümmel, wie es sein alter Kumpel tat.
Ausgesprochen hübsche junge Frauen im Bunny-Kostüm servierten Getränke. Ãberall standen gut gekleidete Menschen mit bunten Drinks und unterhielten sich angeregt. Im Hintergrund lief dezente Musik, vor der Wand türmte sich ein Büfett. Eine der Frauen im Häschenkostüm reichte ihnen zwei Gläser Prosecco, und Röder riss ihr beinahe das silberne Tablett aus der Hand, als er ihr anziehendes Lächeln ein wenig schüchtern erwiderte. Dann bahnten sie sich den Weg zu Demlmaier, den sie auf der anderen Seite des Raumes entdeckt hatten. Er trug einen teuer aussehenden Trachtenanzug und wirkte, als wäre er der Hausherr. Als Jury- und Schickeriamitglied konnte er sich ein solches Auftreten erlauben. Er machte sie mit einem jungen Mann in einem affigen Anzug bekannt. Ein Volontär der Playboy-Redaktion, der etwas von »fester Bestandteil der weltweiten Kunst und Kultur« faselte und sie herumführte. Er nervte.
Endlich war es so weit. Der Chefredakteur und andere wichtig aussehende Damen und Herren, darunter Demlmaier, bestiegen das kleine Podium und lieÃen die Hüllen fallen. Nicht die eigene, sondern die des auf OriginalgröÃe gebrachten Centerfold-Posters von Miss Mai.
Der Chefredakteur hielt eine Rede, deren Zentralthema die Biographie der jungen Dame war. Sechsundzwanzig, studierte Kunsthistorikerin, jetzt beim Kunsthaus Demlmaier angestellt. Nach einigen mehr oder weniger gelungenen Witzen kam er auf die offenbar wirklich wichtigen Fakten zu sprechen: 92  â  64  â  89. Miss Mai, Anastasia, betrat schlieÃlich persönlich das Podium und überzeugte in ihrem bezaubernden, tief dekolletierten Abendkleid alle Anwesenden, dass die nackten Zahlen den Tatsachen entsprachen. Hellinger klatschte begeistert Beifall und pfiff durch die Zähne. Röder konnte sich der Ausstrahlung des charmanten Mädchens nicht entziehen und lächelte versonnen. Allerdings kam ihm der unangenehme Gedanke in den Sinn, dass die süÃe Anastasia beinahe eine seiner Töchter sein könnte.
Der offizielle Teil war bald vorüber, und Hellinger hatte sich an einer brünetten Schönheit festgesaugt. Eine Stewardess, die extra ihren Einsatzplan so geändert hatte, dass sie an diesem Tag in München sein konnte. Sie hoffte, sehr bald in dem weltbekannten Männermagazin die Ausklappseite zu zieren. Laut Hellinger stand dem nichts, aber absolut nichts im Wege, und er versprach, die ganze Auflage zu kaufen.
»Walter sagte mir, dass Sie aus der Pfalz kommen?«
Röder drehte sich um, Miss Mai stand vor ihm. Röder war verlegen und hoffte, dass er die bezaubernde junge Frau nicht mit offenem Mund anstierte.
»Ja, aus Bad Dürkheim. Herr Hellinger kommt aus Kallstadt«, sagte er steif.
»Na, so was! Ich bin in Neustadt geboren! Ja, man trifft sie überall, die Pfälzer. Ich hoffe, dass ich es dieses Jahr mal wieder auf den Wurstmarkt schaffe.« Der Wurstmarkt war das gröÃte Weinfest der Welt und stand bei den Vorderpfälzern groà im Kalender. Familien, die über die ganze Welt verstreut waren, fanden sich zum Wurstmarkt zusammen. Röder besuchte den Wurstmarkt, seit er laufen konnte. Als er dann älter wurde, lief er nur noch hin und robbte heim. Er entkrampfte sich beim Smalltalk mit der charmanten Pfälzerin. SchlieÃlich wechselte er das Thema.
»Sie arbeiten als Kunsthistorikerin bei Demlmaier? Was sind denn Ihre Aufgaben bei einem Händler? Ich dachte, die verkaufen nur?«
»Demlmaier ist kein einfacher Antiquitätenhändler«, sagte sie lachend. »AuÃerdem verkaufen wir nicht nur. Wir kaufen auch, und dabei dürfen wir uns nicht übers Ohr hauen lassen. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir ebenfalls einige Euro mit Gutachten verdienen. Dazu brauchen Sie eine solide Ausbildung. Demlmaier ist auch Kunsthistoriker, er ist sogar Dozent an der Uni.«
Irgendjemand aus dem Hintergrund winkte und rief ihren Namen. Anastasia war wieder entschwunden. Röder bedauerte das ein bisschen, aber es war ihr Tag. Sie hatten gerade noch
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