Weinstrassenmarathon
Bodenriegel anhob und an beiden Flügeln zog. Röder stand mit seiner Tochter mitten im Getümmel. Junge und alte Leute drängten sich in weinseliger Laune durch die Gassen. Nirgendwo gab es Anzeichen von Streit, es herrschte eine friedliche, ausgelassene Stimmung. Einzig die Polizei und ein paar engagierte Eltern zogen hie und da mal Minderjährige aus dem Verkehr. Röder erinnerte sich an einen Vergewaltigungsfall vor mehreren Jahren weiter unten in der Südpfalz, als ein betrunkenes Mädchen Opfer von ebenfalls betrunkenen Jugendlichen wurde. Er beschleunigte seinen Schritt.
Marie-Claire zog ihn am Ãrmel. »Ich habe eine Idee, wo sie sein könnte.«
Sie übernahm die Führung. Am Festplatz angekommen, sahen sie den Tumult schon. Oben, in der Grünanlage neben dem Festplatz, standen Jugendliche im Kreis und johlten. Röder begann zu rennen, und dann sah er die Kämpfer. Ein Junge mit nacktem Oberkörper machte eine Art Kopfstand und schlug dabei mit den Beinen um sich. Sein Gegner wich aus, drehte sich blitzschnell um und holte zu einem kräftigen Karatetritt aus. Röder sauste das Herz in die Hose. Der Gegner war Felicitas! Rasante südamerikanische Musik dröhnte aus einem Gettoblaster, der auf einer Bank stand. Das Publikum grölte und klatschte, als Felicitas einen Treffer im Rücken bekam. Sofort war der Junge über ihr. Röder packte ihn von hinten und zog ihn von seiner Tochter weg.
»Heh, was soll das?«, rief das Fliegengewicht.
»Lass meine Tochter in Ruhe, du kleines Sackgesicht!«, brüllte Röder und nahm den Jungen in den Polizeigriff.
»Papa, lass Diego los.« Felicitas merkte erst jetzt, was passiert war, und auch Marie-Claire versuchte, ihren Vater zu beruhigen. »Diego ist mir nur zu nahe gekommen. Normalerweise vermeiden wir den Kontakt beim Capoeira.«
»Copa-was?« Röder lieà den Jungen los.
»Capoeira ist eine brasilianische Kampfsportart. Halb Tanz, halb Kampfsport, jedenfalls ist es absolut geil. Diego hat mir das gezeigt. Ich kann schon eine ganze Menge, sagt er.«
»Diego ist Raphaels kleiner Bruder.« Marie-Claire hatte beschwichtigend die Hand auf die Schulter ihres Vaters gelegt, der vor Aufregung schnaufte.
Genau in diesem Moment sah er, wie sich eine Gestalt aus der hinteren Reihe der Zuschauer löste und den Weg quer über den Festplatz Richtung Leistadter StraÃe einschlug. Im Dunkeln meinte Röder zu erkennen, dass die Gestalt schwarze Motorradkleidung und einen mittelgroÃen Koffer trug. Einen Augenblick dachte er daran, nachzusetzen, aber dann besann er sich. Er sah wohl schon an jeder Ecke Gespenster. Er nahm seine mittlere Tochter erleichtert in den Arm. Er küsste sie auf die Stirn, die Menge löste sich auf, der Gettoblaster verstummte.
»Hast du denn nicht meine SMS gelesen? Ich habe dir geschrieben, dass ich gerne eine Stunde länger bleiben würde und dass ich am Festplatz bin.«
»Du bist aber schon eineinhalb Stunden über der Zeit«, rügte Röder sanft und zog sein Handy aus der Tasche, um Manu zu informieren. Er versprach, die Mädels innerhalb der nächsten Stunde nach Hause zu bringen.
Viel entspannter trat Röder mit seinen zwei Töchtern und Diego den Rückweg zum Weingut Hellinger an. Sie bahnten sich ihren Weg durch die friedlich feiernde Menge, die meisten der Kinder waren bereits nach Hause geschickt worden. Röder war versucht, eine Schorle zu trinken und sich in die Reihen der Partygänger einzureihen, aber er hatte Pflichten zu erfüllen: die Kinder nach Hause fahren und mit Raphael den Virus platzieren. Kaum am Tor des Weingutes angekommen, stolperte ihm Mariusz aufgeregt über die FüÃe.
»Es ist eingebrochen worden.«
»Keine Panik, Mariusz, das waren wir. Wir sind über den Zaun an den Weinbergen eingestiegen.«
»Nein, das ist es nicht. Der Weinkeller ist aufgebrochen. Ich habe Licht gesehen, da bin ich rein und habe diese schöne junge Frau und den hübschen jungen Mann gesehen. Dann habe ich die beiden zur Rede gestellt, und sie sagten mir, dass sie mit Ihnen eingestiegen sind, dem Chef helfen wollen und im Hof auf Ihre Rückkehr warten. Ich war ein wenig skeptisch und habe die Türen kontrolliert, und dabei ist mir aufgefallen, dass die Tür zum alten Weinkeller, dem Tunnelgewölbe, aufgebrochen war.«
Röder wusste, dass Hellinger im alten Weinkeller seine
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