Weinzirl 02 - Funkensonntag
Obduktionsbericht?«
Gerhard blieb ruckartig stehen. »Ich glaube schon, die halten mich
für einen Bauerndeppen.« Er sagte das ganz ohne Zynismus.
Der Staatsanwalt sah ihn erstaunt an. »Das mag von Vorteil sein.
Scheußliche Sache, trotzdem!«
Gerhard war nach der PK in sein Büro gegangen und hatte sich eine Stunde » BITTE NICHT STÖREN « ausbedungen. Er hatte ein Hotelschild
mit dieser Aufschrift rausgehängt, eins, das er vor rund zwanzig Jahren mal in
Rimini geklaut hatte. Es kam selten vor, dass er sich solche Auszeiten nahm,
eigentlich stand seine Bürotür immer allen offen. Aber im Moment wollte er sich
von allen Außenreizen abschotten. Wieder und wieder las er den
Obduktionsbericht, der überaus beängstigend war. Er hasste dieses
Medizinerdeutsch, es kostete ihn immer einige Mühe, überhaupt zu verstehen, um
was es ging. Doch in dem Fall hatte er es begriffen, und er ließ diese irre
Geschichte noch mal Revue passieren: Adi Feneberg war mit Rohypnol betäubt worden,
ein Medikament, das je nach Dosierung einige Stunden bis hin zu einem Tag
anhalten konnte. Er war betäubt, aber durchaus lebendig in den Funken
verfrachtet worden. Eigentlich hätte er wieder aufwachen müssen. Eigentlich!
Adi Feneberg aber hatte eine Krankheit gehabt, die sich Myasthenia gravis
nannte, eine Muskelerkrankung. Der Hausarzt hatte Gerhard bestätigt, dass Adi
relativ symptomfrei gewesen war. Die Krankheit hatte sich bei ihm nur darin
gezeigt, dass er Probleme mit den Augenmuskeln, hängenden Augenlidern und einer
abendlichen Kauschwäche hatte. Er kam dank seiner Medikamente gut zurecht. Wenn
man aber solche Medikamente einnahm, gab es eine Reihe von Mitteln, die
kontraindiziert waren. Rohypnol gehörte dazu. Bei Adi Feneberg hatte die
Atemmuskulatur ausgesetzt, es war Atemstillstand eingetreten. Leider gehörte
Rohypnol nicht mal in den Giftschrank. In jeder Klinik, bei vielen Ärzten stand
es im ganz normalen Medikamentenschrank.
Gerhard war aufgestanden und ging in seinem kleinen Büro auf und ab.
Er redete mit seinen Uli-Stein-Kameraden.
»Das Medikament hat ihn also getötet, laut Pathologie wäre ein
Gesunder durchaus wieder aufgewacht. Und, was sagt ihr nun dazu? Er hatte
nämlich eine gute Chance, lebend aus dem Haufen rauszukommen. Er hätte schreien
können, zumal, was die Spurensicherung rekonstruieren konnte, er nicht allzu
tief drin war im Funkeninneren. Vielleicht wäre er aber auch verbrannt, während
um ihn herum johlende Menschen Glühwein und Bier getrunken und Funkakiechla
gegessen hätten.«
Die Figuren wippten und sagten nichts. Gerhard war so ungemütlich
zumute wie selten. Er spürte mit jeder Sekunde mehr, dass dieser Fall anders
war als alles bisher Dagewesene. Er hatte sich wieder gesetzt, die Arme im
Nacken verschränkt, in Gedanken versunken.
An der Tür klopfte es vorsichtig, obwohl das Schild noch draußen
hing.
»Herein!«
Gerhard blieb sitzen und sah zur Tür. Evi Straßgütl streckte den
blonden Kopf herein.
»Entschuldige, ich wusste nicht, ob ich stören darf.«
»Komm rein, meine Klausur bringt mir sowieso keinerlei sinnvolle
Gedanken.«
Evi trat ein und lehnte sich an den Schreibtisch.
»Ich habe endlich mit Adi Fenebergs Frau telefonieren können. Sie
ist immer noch bei ihrer Schwester in Berlin, steht noch unter Schock und
konnte wenig sagen. Es ist aber absolut sicher, dass sie zur Tatzeit am Sonntag
mit der Schwester noch in einem Wellness-Hotel in Bad Homburg war. Das haben
mir mehrere Hotelangestellte bestätigt. Sie kommt als Täterin definitiv nicht
in Frage. Keine Chance!«
Leider, dachte Gerhard, wo doch die Ehefrau in TV -Serien immer eine so dankbare Täterin
war. Aber die Ehe schien in Ordnung gewesen zu sein. Egal, wen sie bisher
befragt hatten – Frau, Schwester, Nachbarn – sie alle hatten betont, wie
integer Adi Feneberg gewesen sei. Eine Geliebte? Der Adi? Niemals!
»Wir waren an Adis Arbeitsplatz und im Sportverein – Adi Feneberg
hatte ja die Eishockey-Jugend in Kempten trainiert –, und auch dort haben wir
nur Lobeshymnen auf Adi gehört. Warte mal, ich zitiere, aus Markus’ Protokoll:
Adi war ein Vorbild für die Jugend. Er war ein Mann mit unverrückbarer Moral.«
Gerhard hielt die Arme im Nacken verschränkt und sagte mehr zur
Decke als zu Evi: »Wer bringt so einen Mann um? Ich kann nirgends auch nur ein
Zipfelchen erhaschen, an dem ich mal behutsam ziehen könnte. Das macht mich
wahnsinnig. Keine Motive, keine Feinde!«
Auch Evi war
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