Weinzirl 02 - Funkensonntag
Jahren bei der Polizei in Kempten arbeitete. »Er ist von seinem
Haus in der Kichbühlstraße immer die Treppe hochgejoggt.«
Der Kollege, der selbst nur Auto fuhr und sicher dreißig Pfund zu
viel auf den Rippen hatte, sah Gerhard mit einem Ausdruck der Verwunderung an:
Wie konnte einer zu nachtschlafender Zeit als Erstes eine steile Treppe zu
einem Kirchplatz hochjoggen?
»Dann joggte er immer weiter bergauf, praktisch am Funkenplatz
vorbei und dann links weg Richtung Adelharz. Sein Weg hat ihn dann immer von
Adelharz nach Werdenstein geführt und von da wieder eine Treppe rauf nach
Eckarts.«
Über diese Treppen kam Meierl offenbar nicht hinweg.
»Ja, genau und da hat ein Auto neben ihm gehalten!«, rief nun Markus
im Angesicht des Triumphs.
Meierl sprang erneut ein: »Ein Audi TT in Schwarz. Auf Ludwig Haggenmüller ist ein schwarzer TT zugelassen.«
Gerhard gab ein grunzendes Geräusch von sich. »Woher habt ihr das?«
Und dann hatte Markus wirklich so eine Art Jahrhundert-Energieschub.
»Der Bauer Kiechle, der wo der Ältere von beiden ist, den wo auch
die Fernsehleute inter-, äh interviewt haben, der hat das gesehen. Der war früh
draußen, derweil er ja nicht weit weg wohnt und schlecht schlafen kann. Der Adi
war da in den, äh Adelharzer Weg eingebogen, da an der Abzweigung. Das Auto ist
direkt vor ihn hin gefahren. Und der Autofahrer hat die Scheibe runtergekurbelt
und mit Adi geredet. Und der Adi, der ist auf der Stelle gejoggt. Stell dir
vor!«
Gerhard war sich nicht so sicher, was er sich vorstellen sollte.
Dass einer auf der Stelle joggte? Er lächelte Markus an.
»Die Autonummer hat sich der Kiechle nicht gemerkt, oder? Und sonst
– hat er sonst noch was gesehen?«
Markus straffte erneut die Schultern. »Nein, weil er ist dann wieder
zurück zum Hof, derweil es ja geregnet hat.«
»Danke Markus, danke an alle. Gute Arbeit.«
Gerhard ging zu einer großen weißen Tafel an der Stirnseite des
Raumes und begann eine Skizze des Tatorts hinzuwerfen.
»Fassen wir zusammen: Um fünf Uhr fünfzehn war Adi Feneberg noch am
Leben, und Ludwig Haggenmüller hat ihn aufgehalten. Um etwa diese Zeit hat er
das Rohypnol verabreicht bekommen und wurde später in den Funken geworfen. Die
Stelle, wo der Kiechle-Bauer die beiden zum letzten Mal gesehen hat, liegt
keine zweihundert Meter entfernt vom Funken. Evi, gib die Fahndung nach
Haggenmüller raus!«
Es war neunzehn Uhr, als Gerhard sein Büro verließ. Er war
angespannt und musste dennoch grinsen. Diese Unterhaltung zwischen Markus
Holzapfel und dem Bauern Kiechle hätte er gern auf Video. Ein Stummfilm mit
gelegentlichen Spracheinlagen. Aber wahrscheinlich hätten er oder Evi oder Jo –
jetzt dachte er an Jo schon wie an eine offizielle Ermittlerin, überlegte
Gerhard leicht überrascht – nie was aus dem Kiechle rausbekommen. Zwei
Schweiger hingegen, denen Sprechen wie eine von Gott auferlegte Strafe vorkam, die
verstanden sich. Markus war wirklich der vertraueneinflößendste Trottel, den
Gerhard auf dem weiten Erdenrund kannte. Nein, er rief sich zur Raison, ein
Trottel war er nicht, einfach nur anders als andere Mitarbeiter.
10.
Nachdem Jo aufgewühlt und erschöpft zugleich in Bett gegangen war,
brachte sie am Montag ihren Messevormittag zu Ende. Sie absolvierte einige
Termine – höflich, professionell, mal witzig, mal klug. Sie spielte ihre Rolle.
Das konnte sie. Am Morgen in die Maske gehen und dick auftragen, musste diese
Maskerade doch für den ganzen langen Tag ausreichen.
Am frühen Nachmittag landete ihre Maschine in München. Je weiter sie
vom Flughafen Richtung Berge fuhr, desto kälter wurde es. Wieder war es ein
Hoch aus dem Osten, das eine neue Klarheit brachte. Der Geländewagen hatte
immerhin eine Außentemperaturanzeige. Bei fünfzehn Grad minus stoppte die
Talfahrt. Die Welt war erstarrt wie in einem Film, erst Zeitlupe und dann
Stillstand. Wie mit einer neuartigen Waffe von Außerirdischen eingefroren. Die Bäume
waren zu Skulpturen vereist. Jo bog Richtung Niedersonthofener See ab. Als sich
beim Geratser Hof ein Bulldog regte, war das wie ein Schock. Wieso bewegte sich
etwas in der Kühltruhe?
Starre draußen, Höllenfeuer drinnen. Hatte sie gestern wirklich Jens
Wein ins Gesicht geschüttet? Und hatte der nicht gesagt, dass sie, die sie ihm
Selbstbetrug vorwarf, selbst viel schlimmer war? Hatte er wirklich gesagt, dass
sie ihren Mann längst gefunden hätte? Er hatte Gerhard gemeint, das war Jo
klar. Gerhard, den sie
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